Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen sowie für landwirtschaftliche Winter- und Ackerbauschulen

Die Familie. 
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„Vermögen hat der Verstorbene nicht hinterlassen. Und die Mutter 
kann ihre Kinder nicht allein ernähren!“ „Ja, ja,“ sagte ich zu den 
Leidtragenden, „es ist sehr traurig, daß der Mann bei Lebzeiten nicht 
gesorgt hat, für seine Hinterbliebenen einen Notpfennig anzulegen.“ 
Da meinte einer der Umstehenden: „Woher sollte des Mannes Ver— 
mögen kommen? Weder er noch seine Frau hatten von ihren Eltern 
große Mittel in die Ehe bekommen. Beide haben zwar fleißig gearbeitet 
und sparsam gelebt. Aber bis sie sich ihr Hauswesen einrichteten, ihre 
Kinder ernährten und sich noch einige Grundstücke ankauften, hatlen 
sie tüchtig zu hausen.“ Dem erwiderte ich: „Ganz gewiß hätte der 
Mann ein kleines bares Vermögen hinterlassen können. Hätte er von 
seinem 25. oder 30. Lebensjahre ab vierteljährlich nur 406 Mark in 
tine Lebensversicherungskasse einbezahlt, so würden nunmehr seinen 
Hinterlassenen 1000 Mark bares Geld blank ausbezahlt. Dies wäre 
besser gewesen als ein Stück Feld mehr anzukaufen. In der Regel 
müssen Witwen und Waisen doch einzelne Liegenschaften wieder ver— 
kaufen, um die vorhandenen Schulden decken zu können. Wie wohl— 
thätig aber erweist sich beim Todesfall eines Familienvaters ein kleines 
bares Vermögen? Mit ruhigem Gemüt kann er jederzeit dem Tod ins 
Antlitz schauen, wenn er sein Leben versichert hat. Er hat das süße 
Bewußtsein, für seine Lieben auch über das Grab hinaus gesorgt zu 
haben. Durch Abschluß eines Lebensversicherungs-Vertrages können 
wir die uns von der Vorsehung bestimmte Lebensdauer nicht verlängern. 
Aber wir verlängern dadurch die Fürsorge für unsere Hinterbliebenen, 
damit sie bei einem zu frühen Tode vor der bittersten Not geschützi 
sind. Gewissermaßen aber verlängern wir dadurch auch unsere Lebens— 
dauer, weil der Gedanke, jederzeit ruhig dem Tode entgegensehen zu 
können, unser geistiges und körperliches Wohlbefinden stärkt und kräftigt“. 
Für den Bauersmann kommt nun aber noch etwas, das von 
großer Wichtigkeit ist, hinzu. Die bäuerlichen Anwesen sind meist zu 
klein zur Ernaährung mehrerer Familien. Sobald die Kinder selbständig 
werden wollen, wird das Anwesen entweder in kleine Teile zerrissen 
oder mit Leibgedingslasten für die Eltern und mit Abfindungsgeldern 
für die übrigen Geschwister überlastet. Hat der Vater aber durch 
Lebensversicherung oder Altersversorgung fuͤr sich und die Seinen ge— 
sorgt, so kann das Anwesen ohne besondere Bevorzugung des einen und 
ohne Benachteiligung des andern auf einen Besitzer übergehen. Es ist 
allgemein bekannt, daß der Sohn, der das väterliche Gut zu übernehmen 
hat, von den Auszahlungen an Mutter und Geschwister nicht selten sehr 
gedrückt wird. Es sind mir Fälle bekannt, wo der junge Landwirt 
durch solche Lasten nebst seinen Abgaben bis zu 150 seines Guts— 
wertes zahlen muß, während ihm seine Wirtschaft höchstens 3—400 
einträgt. Durch diese hohen Lasten ist der Landwirt bald ruiniert. 
Oder er zahlt doch schon nach wenigen Jahren mehr an seine Eltern 
und Geschwister, als das ihm zugefallene Erbteil wert ist. 
Wer kann sich in solchen Fällen noch wundern, wenn Unfriede, 
Streit, Zank und Hader in die Familie einkehren, und daß für Gesund—
	        
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