Full text: Deutsches Lesebuch für Handelsschulen

daß diese Veränderlichkeit schon mehr als einmal verhängnisvoll für die 
Fischer wurde. Bleibt nämlich der heringsschwarm der Küste fern, 
so ist dies gleichbedeutend mit einem Fehlschlagen des Jahresfanges; 
denn der norwegische heringsfang ist nicht für den hochseebetrieb 
eingerichtet. 
Das Nahen eines heringsschwarmes erkennt das geübte Huge des 
Fischers schon aus der Ferne an den verschiedenen SZeichen, wie den 
springenden Walen und Raubfischen, die unter den heringen wüten, 
und den Möwen, die sich über dem Wasser scharenweise ansammeln. 
Oft ist ein heringsschwarm von so kolossaler Mächtigkeit, doß die oberen 
schichten von den unteren Massen förmlich über die Oberfläche des 
Wassers emporgehoben werden. Die Fischer vereinigen sich zu gemein⸗ 
samer Arbeit in Gruppen und bilden Sperrnetzgenossenschaften. 
Sobald ein Schwarm nahe genug an das Land gekommen ist, wirft 
die Genossenschaft, welche ihm am nächsten ist, ihr Sperrnetz von 280 m 
cänge und 40 m Tiefe aus und umschließt den ganzen Schwarm, indem 
die beiden Enden des Netzes ans Ufer gezogen und dort befestigt 
werden. Gewichte ziehen die Unterkanten des Netzes auf den Grund, 
wãährend Schwimmer den oberen Rand an der Oberfläche erhalten. 
Im Wasser, das über 40 mn tief ist, reicht die Netzwand nicht bis zur 
Oberfläche. Um nun zu verhindern, daß heringe entweichen, werfen 
Leute, die in Booten vor den Netzen aufgestellt sind, unter großem Geschrei 
weiß bemalte und in Form von Raubfischen geschnitzte Bretter ins 
Wasser, so daß die Tiere zurückgescheucht werden. Zuweilen läßt man 
auch hunoe vor der Offnung umherschwimmen. Durch dieses scheuchen 
entsteht in dem Schwarme ein so fürchterliches Drängen, daß noch ein 
zweites Netz vorgesetzt werden muß; aber auch dieses genügt öfters 
nicht, namentlich wenn Dorsche oder andere Raubfische mit eingeschlossen 
sind; dann drängt der Schwarm mit solcher Gewalt gegen die Netzwand, 
daß sie gesprengt wird. 
Geht das Einschließen der heringe regelrecht vonstatten, dann 
werden sie im Netze so lange gefangen gehalten, bis sie verkauft sind, 
und dann partienweise ausgeschöpft. Zuweilen werden außerordentlich 
reiche Fänge gemacht; so glückte es einmal einer Sperrnetzgenossenschaft, 
einen heringsfang von 30 000 Tonnen im Werte von 4 Million Mark 
zu umschließen. 
Der Fang kommt gewöhnlich sofort an den Fischplätzen an Bord 
der Frachtschiffe, die von den Großkaufleuten in Bergen und Stavanger 
ausgesandt werden. Sie führen leere Tonnen und Salz mit sich, damit 
das Einsalzen sogleich an Ort und Stelle geschehen kann. Bergen ist der 
hauptplatz für den norwegischen heringshandel, und Deutschland ist sein 
bester Kunde, denn es bezieht jährlich für sechs Millionen Mark von dem 
gesalzenen Fische. Franz Mewius. 
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