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57. Die Gründung des neuen deutschen Raisertums.
herrlich war die Frucht der glorreichen Siege der Jahre 1870
und 1871. Alle Schmach, die uns der übermütige Erbfeind seit drei
Jahrhunderten zugefügt, war gerächt und getilgt, und deutsche Lande
an unserer Westgrenze waren für Deutschland wieder gewonnen; noch
herrlicher aber war die Frucht, die aus dem glücklich beendeten Kriege
für den inneren Ausbau unseres Vaterlandes hervorging: die Wieder—
aufrichtung des ehrwürdigen, durch Frankreichs Gewalttätigkeit und
Srevelmut zertrümmerten deutschen Raisertums.
Schon im Beginne des heiligen Krieges zur Verteidigung des Vater—
landes durchdrang alle deutschen herzen das lebhafte Gefühl, daß der
Main nicht mehr die Grenze zwischen Nord- und Süddeutschland bilden
dürfe. Die süddeutschen Fürsten hatten, getreu den mit Preußen ge—⸗
schlossenen Verträgen, an dem gewaltigen Waffengange gegen Frankreich
den rühmlichsten Anteil genommen; das Band der Waffenbrüderschaft
hatte das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit zwischen Nord und Süd
mit solcher Stärke erwachsen lassen, daß fortan von einer politischen
Grenze durch den Main keine Rede mehr war. In der ganzen Nation
lebte nur das eine Streben, die seit so langer Zeit ersehnte und durch
Gründung des Norddeutschen Bundes verheißungsvoll angebahnte, aber
noch nicht vollendete Neugestaltung in der Einigung des gesamten Vater⸗
landes zu verwirklichen.
Schon im November des Jahres 1870 kamen die Verträge zum
Abschluß, durch welche die süddeutschen Staaten mit dem Nordbunde
sich zu einem Deutschen Keiche verbanden. Als daher König Wilhelm
in den herrscherpalast der alten Bourbonen eingezogen war, da richtete
der mächtigste der übrigen deutschen Fürsten, der jugendliche patriotische
König Cudwig II. von Bayern, im Namen dieser an das Bundes—
haupt die Bitte, die im Gedächtnis des deutschen Volkes nie geschwundene
herrlichkeit deutscher Nation durch Erneuerung der KRaiserwürde und
Übernahme der Kaiserkrone zu vollenden. Am 18. Dezember nahm
König Wilhelm dieselbe Bitte von den Abgesandten des Norddeutschen
Bundes entgegen und verhieß, er werde sich dem Rufe des gesamten
Vaterlandes nicht entziehen. So ward auf Frankreichs blutgetränkten
Gefilden der Grundstein zum neuen Deutschen Reich gelegt, und der
Krieg hatte gerade das Ziel verwirklicht, das der Nationalfeind hatte
hintertreiben wollen.
Am 18. Januar 1871, an dem Tage, an welchem 170 Jahre vor⸗
her Kurfürst Friedrich III. sich die preußische Königskrone aufs haupt
gesetzt hatte, erklärte König Wilhelm in dem Spiegelsaale des Schlosses
von Versailles im Kreise deutscher Fürsten, heerführer und Abgeordneten,
daß er für sich und seine Nachfolger auf dem Throne Preußens die