Full text: Deutsches Lesebuch für Vor- und Unterklassen höherer Lehranstalten (Teil 2, [Schülerband])

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freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen 
Menschen nieht schlimm, sondern nur wunderlich, und wvenn 
man sie nur immer recht kennte, inwendig und auswendig, 
und recht mit ihnen umzugehen wüßte, nie zu eigensinnig und 
nie zu nachgebend, so wäre mancher wohl und leicht zur 
Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit 
seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts 
recht machen und mubte vieles entgelten, woran er unschuldig 
war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr ver- 
drieblich nach Hause und setzte sich zum NMittagsessen. Da 
war die Suppe zu heiß oder zu kalt, oder keins von beiden; 
aber genug, der Herr war verdrieblich. Er faßte daher die 
Schũssel mit dem, was darin war, und warf sie durch das offene 
Fenster in den Hof hinab. Was that der Diener? Kurz 
besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch 
stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach, auch 
in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein, und endlieh 
das Tischtuch mit allem, was noch darauf war, auch in 
den Hof hinab. „Verwegener, was soll das sein?“ fragte 
der Herr und fubr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. 
Aber der Bediente erwiderte kalt: „Verzeiben Sie mir, wenn 
ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht 
anders, als Sie wollten heute in dem Hofe speisen. Die Luft 
ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie 
lieblich der Apfelbaum blüht und wie fröhlich die Bienen 
ihren Mittag halten!‘ — Diesmal die Quppe hingeworfen und 
nimmer wieder! Der Herr erkannte seinen Pebler, heiterte 
sich im Anblick des schönen Frühlingsbimmels auf, lächelte 
heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und 
dankte ihm im HEerzen für die gute Lebre. Hebel. 
183. Der Agpfelschnitz. 
Herr Ludewig zu Aachen fein lang' zu Tische saß, 
er war ein frommer Kaiser, der auch gern Äpfel aß. 
Da standen seine Söhne vor ihm auf eine uit 
er dacht': ich will erproben, wie ihr gehorsam seid. 
Er rief dem erstgebornen: Komm' ich befehle dir, 
thu' auf den Mund, empfange den Apfelschnitz von mir!“ 
Da rief, Pipin der Lange: ‚Herr Vater, seid ihr klug? 
Kann selbst mir Äpfel schaͤlen, bin wahrlich groß genug.“ 
Da rief er seinem zweiten: „So öffne du den Mund 
und nimm aus meinen Händen den Schnitz in deinen Schlund!“ 
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