Full text: Lesebuch für die ländlichen Fortbildungsschulen der Provinz Ostpreußen

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wenn eine Pflanze nicht recht gedeihen wolle, so läge es daran, daß der Boden 
nicht genug Kohlenstoff habe. Liebig aber sagte: „Das ist ein Irrtum. Die 
Pflanzen saugen den Kohlenstoff nicht aus der Erde, sondern aus der Luft, 
die Kohlenstoff in gasförmiger Gestalt enthält. Wenn also eine Pflanze nicht 
recht gedeihen will, so liegt das nicht daran, daß es ihr an Kohlenstoff mangelt, 
sondern an denjenigen Stoffen, die in der Asche enthalten sind“. 
Liebig untersuchte nun die Pflanzenasche genau und fand, daß sie haupt— 
sächlich aus Phosphorsäure, Kali und Stickstoff besteht. Er lehrte deshalb 
weiter: „Verkümmert eine Pflanze, so müssen diese Stoffe dem Boden 
künstlich zugeführt werden; denn gerade daran fehlt es ihr.“ Er machte nun 
die Probe auf seine eigene Lehre und düngte jenen kahlen Hügel bei Gießen 
mit Phosphorsäure, Kali und Stickstoff. Dann ließ er ihn bebauen und er— 
zielte in der Tat Früchte, wie sie auf dem besten Boden nicht schöner gedeihen 
können. Alle wunderten sich über diesen Erfolg; manche ahmten Liebigs 
Verfahren nach und hatten ähnliche Erfolge. Die Anwendung des Kunst⸗ 
düngers war damit erprobt und wurde bald in den weitesten Kreisen verbrei— 
tet. Jenen Hügel bei Gießen aber, den Liebig zuerst durch Kunstdünger 
ertragfähig gemacht hatte, nannte man ihm zu Ehren „Liebig-Höhe“. 
Ohne Liebigs Entdeckung müßte jetzt ein großer Teil unserer Acker brach⸗ 
liegen, weil der Boden nicht mehr so viel aufbringen würde, daß sich die Arbeit 
des Bebauens bezahlt machte, da Amerika, Rußland und andere Länder 
uns sehr billiges Getreide liefern. Durch Liebig erst ist die Möglichkeit gegeben, 
mittels Kunstdünger auch auf magerem Sandboden schöne Ernten zu erzielen 
und weite Flächen mit Pflanzen, z. B. Zuckerrüben, zu bestellen, die sehr viel 
Nahrung nötig haben. Durch Liebig ist die Erde reicher und ihr Boden frucht⸗ 
barer geworden und vermag jetzt mehr Menschen zu ernähren als sonst. 
Ahnliche Grundsätze wie für die Ernährung der Pflanzen stellte Liebig 
auch für die Ernährung der Haustiere und die Benutzung ihres Fleisches 
auf. So wurde z. B. nach seinen Angaben der Fleischextrakt hergestellt, 
der die wichtigsten und nahrhaftesten Bestandteile des Fleisches enthält. 
Noch heute hat er von Liebig seinen Namen und ist in aller Welt bekannt. 
Der Fleischextrakt wurde zuerst und wird auch jetzt noch hauptsächlich in 
Amerika bereitet. Liebig bezeichnete das Gedeihen jener Anstalt, in denen 
der Fleischextrakt hergestellt wird, als eines der erfreulichsten Ergebnisse seiner 
Wirksamkeit. 
Ein Gegenstand eifrigster Sorge war für Liebig auch die Gesundheits— 
pflege. Eines Tages kam ein Arzt zu ihm und bat um Rat, wie er einen Kran— 
ken zu behandeln habe, der sich mittels Quecksilber vergiftet hatte. Liebig 
gab nicht nur den erwünschten Rat, sondern begleitete auch den Arzt zu 
dem Kranken, der in einem ärmlichen Dachstübchen lag, und wiederholte 
seine Besuche so lange, bis der Kranke wieder völlig hergestellt war. — Ein 
andermal war Liebig mit Freunden auf einer Reise in Tirol. Da trafen sie 
einen Soldaten, der am schleichenden Fieber litt; sie gaben ihm reichliche 
Almosen, aber damit war Liebig noch nicht zufrieden, er eilte auch in die
	        
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