Full text: [Theil 1, [Schülerband]] (Theil 1, [Schülerband])

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sich in dem Laubdache tummelt, und der starkknochige blutdürstige Luchs auf 
seine Beute lauert, um von einem bequemen Aste herabzuspringen: so kann 
man wohl sagen, jede Eiche sei eine Welt im kleinen. 
Wohl jeder hat auch schon die runden, oft hübsch rothbackigen Gall⸗ 
äpfel an den Eichblättern bemerkt und abgepflückt. Diese Galläpfel, so wichtig 
für die Bereitung der Tinte und für die Färberei, verdanken ihren Ursprung der 
Eichenblatt⸗Gallwespe, die gleichfalls auf der Eiche ihre Heimat hat. Im Herbst 
bohren die Weibchen mit ihrem Stachel in die Pflanzentheile und legen in die 
gemachte Oeffnung ihre Eier. Durch den Reiz des scharfen Saftes, der bei 
dieser Gelegenheit hineinfließt, und durch den Lebensreiz der Eierchen schwellen 
die gestochenen Theile an, und so entstehn die runden, kleinen Aepfel. Eine 
Art dieser kleinen Fliegen, die man auch Eichenbohrer nennt, legt ihre Eier in 
die Blüten und in die noch zarten Früchte; sie heißt „Knopper⸗ Gallfliege“. 
Die andre Art legt ihre Eier in die jungen Knospen der Eichenzweige und 
eine dritte in die Blaͤlter der Eichen. Die beiden letzten Arten sind auch bei 
uns einheimisch, aber ihre Galläpfel sind nicht viel werth; während die „Knop⸗ 
pern“ der ersten Art, welche im südlichen Europa und in der Levante zu Hause 
ist, sehr geschätzt werden. Die levantischen Knoppern haben vor allen andern 
den Vorzug; doch schätzt man auch diejenigen, welche aus Ungarn, Kroatien 
und Slavonien kommen, wo sie in solcher Menge wachsen, daß man jährlich 
für mehr als hunderttaufend Gulden nach auswärts verkauft 
17. Die Linde. 
Hermann Jäger. 
Kein Baum ist in den deutschen Landen so volksthümlich wie die Linde. 
Sie ist und bleibt des Volkes Liebling. Davon zeugt ihre häufige Anpflanzung, 
davon zeugen die Volkslieder aller Zeiten. Die Lnde ist des Volkes Freund 
und Nachbar, sein Genosse in Lust und Leid, auf dem Tanzplatze, wie auf 
dem Kirchhofe. Es hegt und pflegt keinen andern Baum ohne besonderen 
Nutzen, nur, weil es ihn liebt und schoͤn findet Wenn der nützliche kleinere 
Baum zum Hausbaum geworden ist, so ist die mächtige Linde so recht eigentlich 
der Gemeindebaum, das allgemeine Eigenthum, die Freude aller. Nur auf 
Burgen und in Klöstern war die Linde Hausbaum. Dort wurde der Gast im 
Sommer bewirtet. Unter der Linde wurde gezecht, gespielt, erzählt. Dort 
wurde der reisende Spielmann angehört. 
Die Linde gehört nicht in den wilden Wald und wird dort mißachtet und 
unterdrückt; sie liebt, wie die Nachtigall und die Schwalbe, die Naͤhe des 
Menschen, weil sie hier gesichert, begünstigt und geachtet mird. Die Linde hat 
eine so ungeheure Lebensfähigkeit und Zähigkeit, Schicksale zu ertragen, wie kein 
andrer Baum. Sie läßt sich den Kopf abschlagen, um alsbald einen, noch 
häufiger mehrere neue zu bilden. Ihrer Aeste beraubt und als trauriger 
Stumpf dastehend, verjüngt sie sich kräftig und bildet in wenigen Jahren eine 
neue Krone. Sie läßt sich in fremden Boden verpflanzen und gewöhnt sich 
überraschend schnell an den neuen Standort, auch don Schönheit und Duft 
verbreitend. Jeder Hauptast ist fähig, den Stamm fortzusetzen, jede Knospe, 
einen neuen Stamm zu bilden. Als alter Baum innen ganz hohl, lebt sie 
noch Jahrhunderte und ersetzt nach außen an Holzwuchs, was fie am Kerne
	        
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