Full text: [Theil 1, [Schülerband]] (Theil 1, [Schülerband])

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verlor. Ja, der innerlich faule, ausgehöhlte Stamm sendet aus dem gesunden 
Holze Wurzeln in sein Inners, und so bildet sich im Stamme selbst daraus ein 
saer Slamm. Durch Sturm und Blitz ihrer stärksten Aeste „ja der Hälfte 
des Stammes beraubt, grünt und blüht sie dennoch fort. Sie nimmt willig 
fremde Formen an und läßt sich in der Zucht der Gartenschere halten, ohne die 
Faͤhigkeil zu verlieren, nach jahrelanger Schererei ein großer, lebenskräftiger 
Baum zu werden. Und ihre herrlichen Blüten, zu welchen tausend und aber 
tausend Bienen fliegen, um köstlichen Honig zu saugen, welche die ganze Gegend 
durchwürzen, — sind sie nicht ein Bild des deutschen Geistesß? — 
Algemein deutsche Sagen von Bedeutung gibt es nicht von der Linde, 
dagegen viele örtliche. Blutlinden Femlinden, Geisterlinden Gerichtslinden u. sw. 
gibt es viele. Noch häufiger sind die heiligen Linden, da es sehr gebräuchlich 
war, die Linden als Bildstöcke für Marien— und Heiligenbilder zu benutzen. 
Mehrere Orte haben von solchen Linden ihren Namen erhalten, z. B. Heiligen— 
sinde in Oftpreußen. Das Kloster Mariaschein in Bohmen hat eine heilige 
Linde, die vom Kreuzgange des Klosters umgeben wurde. Ueberhaupt sind die 
Lnden von jeher mit heiliger Scheu geschont worden und mancher bedeutende 
Park wurde wegen eines solchen Baumes verändert. Jeden andern Waldbaum 
Pürde man als Hindernis weggeschlagen haben, höchstens hätte er in einem 
andern Park Schonung erhalten. 
Noch mehr als ein Sagenbaum ist die Linde ein Gedenkbaum. Unsre 
Vorfahren pflanzten Linden, um ein merkwuͤrdiges, freudiges Ereignis zu 
bezeichnen. Die Linde wächst nämlich schon während eines Menschenalters zu 
inem ansehnlichen Baume heran, so daß die Erinnerung noch besteht, wenn 
derselbe schon groß ist. Linden, an welche sich wichtige Ereignisse knüpfen gibt 
es und gab es viele, besonders in der Schweiz so z. B. die Unde in Altdorf, 
welche den Tellsschuß sah. Geringere Veranlassungen zum Pflanzen von Linden 
kommen fast in jeder Stadt vor. Auf den Dörfern werden noch immer 
Erinnerungslinden gepflanzt, während die Städte nach Denkmälern von Erz 
und Stein trachten. 
Endlich ist die Linde der Baum der Freude und Jugendlust und der Baum 
des Todes Um die Dorflinde tanzt die Jugend, und die Linde beschattet den 
Friedhof und umgibt die Kirche. Die Linde ist ein schöner Baum, wird groß, 
hat herrlich duftende Blüten, die sogar heilsam sind, und was wohl besonders 
hervorzuheben ist, sie wächst verpflanzt sehr leicht an und verträgt viel — 
genug Eigenschaften, um einen solchen Baum vorzuziehen. Aus demselben 
Grunde wurde die Linde auch ein Baum der Zusammenkünfte. Die Linde 
Hebreilet weit dichten Schatten, unter ihr ist es trocken der Stamm bildet 
cinen guten Hintergrund für den Sprecher, daher ihr Werth für Volksver— 
sammlungen. Eine verabredete Zusammenkunft kann auch keinen bessern Platz 
haben, denn die Dorflinde ist mit keinem Baume zu verwechseln. Noch jetzt 
finden Mai⸗, Pfingst⸗ und Kirmestänze in Deutschland fast allgemein unter der 
Unde flatt. Der Baum ist dann meist mit Steinen umgeben und oft sind die 
ausgestreckten Aeste mit Säulen unterstützt und diese wieder durch Gebälk ver— 
bunden, so daß eine Art Gebäude entsteht, welches bei schlechtem Wetter gedeckt 
werden kann. Solche Dorflinden sind nicht immer stolze Bäume mit schönen 
Kronen, sondern viel häufiger verstümmelt so daß sie eigentlich nur eine Art 
Laube bilden, und die oft geköpften Aeste endlich die Gestalt eines vielköpfigen 
Ungeheuers bekommen. 
Die Linde ist erhaben und lieblich zugleich erhaben und edel durch ihren 
riesigen Wuchs, wahrend ihre äußere Blüte stets den Eindruck der weiblichen
	        
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