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3. Der Cotse.
Ludwig Giesebrecht.
„Siehst du die Brigg dort auf den Wellen?
Sie steuert falsch, sie treibt herein
und muß am Vorgebirg' zerschellen,
lenkt sie nicht augenblicklich ein.
Ich muß hinaus, daß ich sie leite!“ —
„Gehst du ins off'ne Wasser vor,
so legt dein Boot sich auf die Seite
und richtet nimmer sich empor.“ —
„Allein ich sinke nicht vergebens,
wenn sie mein letzter Ruf belehrt;
ein ganzes Schiff voll jungen Lebens
ist wohl ein altes Leben wert.
Gib mir das Sprachrohr! Schifflein, eile!
Es ist die letzte, höchste Not.“
Vor fliegendem Sturme, gleich dem Pfeile,
hin durch die Schären eilt das Boot.
Jetzt schießt es aus dem Klippenrande.
„Links müßt ihr steuern!“ hallt ein Schrei.
Kieloben treibt das Boot zu Lande,
und sicher fährt die Brigg vorbei.
4. Das Lied vom braven Mann. (1776.)
Gottfried Bürger.
1. Hoch klingt das Lied vom braven Mann,
wie Orgelton und Glockenklang.
Wer hohes Muts sich rühmen kann,
den lohnt nicht Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob, daß ich singen und preisen kann,
zu singen und preisen den braven Mann.
2. Der Tauwind kam vom Mittagsmeer
und schnob durch Welschland trüb und feucht.
Die Wolken flogen vor ihm her,
wie wenn der Wolf die Herde scheucht.
Er fegte die Felder, zerbrach den Forst;
auf Seen und Strömen das Grundeis borst.
3. Am Hochgebirge schmolz der Schnee,
der Sturz von tausend Wassern scholl,
das Wiesental begrub ein See,
des Landes Heerstrom wuchs und schwoll;
hoch rollten die Wogen entlang ihr Gleis
und rollten gewaltige Felsen Eis.
4. Auf Pfeilern und auf Bogen schwer,
aus Quaderstein von unten auf,
lag eine Brücke drüber her,
und mitten stand ein Häuschen drauf.
Hier wohnte der Zöllner mit Weib und Kind.
„O Zöllner! o Zöllner! entfleuch geschwind.“
5. Es dröhnt' und dröhnte dumpf heran,
laut heulten Sturm und Wog' ums Haus.
Der Zöllner sprang zum Dach hinan
und blickt' in den Tumult hinaus. —
„Barmherziger Himmel, erbarme dich!
Verloren! Verloren! Wer rettet mich?“
6. Die Schollen rollten Schuß auf Schuß
von beiden Ufern hier und dort,
von beiden Ufern riß der Fluß
die Pfeiler samt den Bogen fort.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind,
er heulte noch lauter als Strom und Wind.
7. Die Schollen rollten Stoß auf Stoß,
an beiden Enden, hier und dort,
zerborsten und zertrümmert schoß
ein Pfeiler nach dem andern fort.
Bald nahte der Mitte der Umsturz sich. —
„Barmherziger Himmel! erbarme dich!“ —
8. Hoch auf dem fernen Ufer stand
ein Schwarm von Gaffern, groß und klein,
und jeder schrie und rang die Hand,
doch mochte niemand Retter sein.
Der bebende Zöllner mit Weib und Kind
durchheulte nach Rettung den Strom und Wind.
9. Rasch galoppiert ein Graf hervor
auf hohem Roß, ein edler Graf;
was hielt des Grafen Hano empor?
Ein Beutel war es, voll und straff. —
„Zweihundert Pistolen sind zugesagt
dem, welcher die Rettung der Armen wagt!“
10. Und immer höher schwoll die Flut,
und immer lauter schnob der Wind,
und immer tiefer sank der Mut. —
O Retter! Retter! komm geschwind! —
Stets Pfeiler auf Pfeiler zerborst und brach.
Laut krachten und stürzten die Bogen nach.
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