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B. Vom Kriegswelsen.
. Ein Soldatenbrief.
Berthold Auerbach.
Es ist wahr und gewiß, lieber Vater, das Soldatenleben striegelt und putzt
den Mann, und wer kein Soldat gewesen ist, der ist kein rechter Mann. Wir
haben einen grundgescheiten Kameraden in der Kompagnie (spr.: Kompanie),
einen Gefreiten, der ist ganz mit mir einverstanden, und der sagt auch: jeder
großjährige Mann im Staale ist Bürger, das ist ein schönes Wort, das ist der
schönste Titel, den man haben kann. Ein Bürger steht mit allem, was er
hat, mit seinem ganzen Leben dafür ein und ist Bürge, daß Ordnung und
Recht im Staate ist, und daß niemand, heiß' er Franzos oder Russ', dem
Staate was anhaben kann. Jeder Bürger soll mithelfen die Gesetze machen,
die über ihn regieren sollen Jeder Bürger gibt seine Stimme dazu, wie
man die Steuern umlegen soll, daß keinem Unrecht geschieht, und daß eine
ordentliche Haushaltung geführt wird. Ich weiß wohl, es kann nicht jeder
dabei sein, darum wählt man die Abgeordneten, die auf dem Landtage für
die anderen sprechen und stimmen, aber in Gedanken ist jeder dabei. Mit—
raten kann nicht jeder Bürger für sich selber, da reicht es schon hin, wenn
er einen Mann für sich eingestellt hat, der seine Gedanken ausspricht; aber
mithalten muß jeder, wenn's drauf und dran kommt. Er muß helfen den
Staat erhalten durch Steuern und Soldatsein, dann erst ist er ein rechter
Bürger. Vor Zeiten hat man Soldaten gehabt, die den Staat gar nichts
angegangen sind; sie haben gerade dem gedient, der sie am besten bezahlt hat.
Jeht sind lauter Bürger Soldaten. Sie verteidigen und schützen ihre eigene
Sache, und darum muͤß auch jeder Soldat Bürger und wieder jeder Bürger
Soldat sein. Ich kann es keinem andern übertragen, daß er meinen Vater
und meine Mutter lieben, daß er ihnen beistehen und sie beschützen soll; wenn
ich ihm auch so viel Geld gäbe, er kann's doch nicht recht von innen heraus,
es ist eben seine Sache nicht. — Vorzeiten haben die Soldaten gar nicht
heiraten dürfen. Freilich, sie waren ja Knechte, die jede Minute sich haben
totschlagen lassen müssen, für was der Herr eben gewollt hat. Jetzt ist das
anders. Jetzt ist ein Krieg jedes Bürgers eigene Sache. Wenn meine kurze
Dienstzeit um ist, werde ich Landwehrmann bis in mein zweiunddreißigstes
Jahr, und wenn ich, will's Gott, Frau und Kinder habe, und der Staat
hraucht mich, bin ich gerade ein besserer Soldat, weil ich mein eigen Haus
und Hof verteidige.
Ja, lieber Vater, ich denke jetzt viel über das Soldatenwesen nach. Es
war immer, als wenn mich jemaͤnd an einem langen Seil angebunden hätte,
bis ich zwanzig Jahr alt war. Jetzt ist die Zeit da, jetzt bin ich hergezogen
worden, und der Staat sagt: nun bist du mein vom Morgen bis Abend
und immer. Da denk' ich denn eben darüber nach: was geht dich der Staat,
und was gehst du ihn an? Warum mußt du ihm dienen, und was tut er
denn dir? Und da sind mir nebstdem auch noch allerlei Gedanken auf—
gegangen.
Zweitens sagen wir auch noch, nämlich mein Kamerad und ich: als
Soldaten tragen alle Bürgersöhne gleiche Röcke und gleiche Kappen. Das
ist gut, da lernen sie alle miteinander, hoch und nieder, einsehen, daß sie im
Staͤate gleich sind und gleich sein sollen. Darum lob' ich mir in dieser
Hinsicht mein Vaterland, da muß doch wenigstens ein jeder Soldat sein;