Full text: Hessisches Lesebuch für Fortbildungsschulen

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eingeführten lateinischen Schrift kamen heraus; selbst der Sonntag wurde 
angenommen als allgemeiner Ruhetag. Bereits im Jahre 1885 waren über 
1600 Kilometer Eisenbahnen im Betrieb, und die Telegraphenleitungen hatten 
eine Gesamtlänge von etwa 10000 Kilometern. In demselben Jahre be— 
förderte die Post an 100 Millionen Briefe, Postkarten und Pakete und 
3 Millionen Telegramme. Gegen 30000 Schulen sind gebaut worden, und 
die Zahl der sie besuchenden Kinder beträgt rund 3 Millionen. Mit einem 
Wort, der Umschwung in der ganzen äußeren Form des Lebens ist ein voll— 
ständiger; Japan ist heute ein moderner Staat. 
Die Veränderungen, welche Japan in so kurzer Zeit durchmachte, sind 
wohl interessant genug, um auch die Gründe näher ins Auge zu sassen, 
welche diese Umwälzung hervorriefen. Um alles recht zu verstehen, ist es 
notwendig, in die Geschichte des Landes zurückzugreifen. Obgleich Marco 
Polo, der große venetianische Reisende des 13. Jahrhunderts, zum erstenmal 
die Kunde von dem Dasein Japans nach Europa gebracht hatte, so vergingen 
doch noch beinahe 300 Jahre, bis ein anderer Westländer, der Portugiese 
Pinto, ums Jahr 1540 dort landete. 1549 folgte ihm der Jesuitenmissionar 
Franz Xaver; jedoch schon nach 2 Jahren verließ dieser das Land wieder, ohne 
viel Erfolg bei seinen Bekehrungsversuchen gehabt zu haben. Glücklicher waren 
seine Nachfolger. Aus dem portugiesischen Goa an Indiens Westküste kamen 
sie her, und ihr hilfsbereites Auftreten gewann ihnen schnell die Herzen; sie 
wurden aufrichtig geliebt und geachtet. Ihr Werk wurde dadurch sehr er— 
leichtert, daß der Buddhismus, die in den breiteren Volksschichten Japans 
herrschende Religion, viele Anknüpfungspunkte bot. Es gab nur wenig in den 
buddhistischen gottesdienstlichen Gebräuchen, was eine Anderung erheischte, noch 
viel weniger, was abgeschafft werden mußte. Ein paar Meißelschläge, und die Bild⸗ 
säulen Buddhas waren umgeformt in Bilder Christi; jeder buddhistische Heilige 
fand sein Gegenstück in einem römischen Heiligen; die Bilder an den Wegen zu 
Ehren der Göttin der Barmherzigkeit wurden ebensoviele Stützen der Mariaver— 
ehrung. Tempel, Altäre, Glocken, Weihwasserkessel und Weihrauchpfannen, alles 
war vorhanden und wurde nur aus einer Religion in die andere übertragen. So 
kam es, daß man schon nach 30 Jahren 150000 Christen zählte. Allmählich 
waren die Priester immer zahlreicher ins Land gezogen und zugleich Scharen von 
Mönchen aus den Orden der Dominikaner, Franziskaner und Augustiner. 
Schnell brach Streit und Zank unter ihnen aus, und die Eingeborenen wurden 
mit hineinverwickelt. Die Habsucht der portugiesischen Handelsleute stieg auf 
einen unerträglichen Grad; die meisten Geistlichen aber thaten es ihnen wo— 
möglich noch zuvor in Geldgier, Hochmut und Verachtung der Landessitten. 
Dies alles mußte die feinfühlenden, fast krankhaft auf Ehre haltenden Japaner 
tief beleidigen; gefährlicher Zündstoff häufte sich im geheimen auf, und es 
bedurfte nur eines Anlasses, ihn auflodern zu lassen. 
Dieser Anlaß kam. Eine Verschwörung der Portugiesen, welche darauf 
ausging, den herrschenden Schogun zu stürzen, wurde entdeckt; auch christliche 
Priester waren in die Verschwörung verwickelt Diese wurden aus dem 
Lande gewiesen, und eine allgemeine Verfolgung brach aus; jeder, der den 
Christennamen trug, war dem Tode verfallen. Die Portugiesen, Priester 
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