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Einer nach dem andern strengte alle seine Kräfte an, und jeder
sagte nach langem, vergeblichem Bemühen: „Es ist gar nicht möglich!“
„Und doch“, sagte der Vater, „ist nichts leichter.“ Er löste das
Bündel und zerbrach einen Stab nach dem andern mit geringer Mühe.
„Ei,“ riefen die Söhne, „so ist es freilich leicht; so könnte es ein kleiner
Knabe!“
Der Vater aber sprach: „Wie es mit diesen Stäben ist, so ist es
auch mit euch, meine Söhne. Solange ihr fest zusammenhaltet, werdet
ihr bestehen, und niemand wird euch überwältigen können. Wird
aber das Band der Eintracht aufgelöst, das euch verbinden soll, so
geht es euch wie den Stäben, die hier zerbrochen auf dem Boden
umherliegen.“ Christoph Schmid.
9. Die treue Schwester.
1. Vater und Mutter lagen im Grab,
und der Bruder wollt übers weite Meer—
Karen hing an seinem Hals,
verzagt' und weinte sehr.
2.
„Meine Lampe will ich ans Fenster stelln,
kein Stern hat einen hellern Schein;
Herzbruder, und wenn du wiederkehrst,
dein Schiff läuft sicher ein.“
3. Ans Fenster stellte die Lampe sie
und wartete an sieben Jahr.
Die Schiffer alle kannten ihr Licht,
das brannte hell und klar.
Sieben Jahre und sieben noch.
„Lösch doch deine Lampe aus!“
Sie schüttelte ihren weißen Kopf:
„Er kommt doch einmal nach Haus.“
Und eines Nachts, und die See ging schwer,
und sie sahen, am Fenster brannte kein Licht.
Da sprachen sie: „Er ist heimgekehrt;
ihr Glaube trog sie nicht.“
.
z. Und morgens sie wollten den Bruder sehn;
im Hafen war kein Schiff, kein Boot,
und sie gingen und fanden die Lampe leer,
und Karen saß und war tot.
Gustav Falke.