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Einmal begegnete ihm vor der Stadt eine Frau, die ein ausländisches Kattunkleid
trug. In seinem Zorn befahl er seinen Dienern, ihr das Kleid vom Leibe zu reißen. An
seinem Hofe duldete er überhaupt nichts Ausländisches. Ganz besonders aber eiferte er
gegen die französische Mode, die damals flitterhafte Kleider und einen langen Haarbeutel
erücke im Beutelh) vorschrieb. Er führte eine einfache „deutsche“ Tracht ein, und die
Wolkenperücke vertauschte er mit dem steifen Zopfe. Beamte, die Unterschleife gemacht
hatten, ließ er hängen, gleichviel, ob vornehm oder gering.
Um die Bildung des Volkes zu heben, ließ er nach und nach über 1800 Land—
schulen anlegen. Jedes Kind sollte vom 6. bis zum 12. Jahre die Schule besuchen,
und wenn es nicht lesen und schreiben gelernt hatte, sollte es nicht konfirmiert werden.
Einmal erschien er ganz plötzlich in einem Dorfe bei Küstrin, um die Schule zu
besuchen. Es war Nachmittag. Der Lehrer begoß gerade seine Blumen im Garten. Da
rief ihm der König zu: „Er soll mir eine Stunde halten mit seinen Jungen, will mal
die Bengel arbeiten sehen“ Die Kinder wurden sofort zusammengerufen. Sie erschienen
zum Teil in Hemdsärmeln und barfuß in der Schule. Der König betrachtete lächelnd die
wohlgenährten, strammen Burschen und gab dann Befehl zum Beginn des Examens. Die
Kinder machten ihre Sache gut, und mehr als einmal nickte der König beifällig mit dem
Kopfe. Als er dann selber einige Exempel rechnen ließ, zeichnete sich ein kleiner Knabe
als tüchtiger Rechenmeister aus. Der König lobte ihn, schenkte ihm 2 Gulden und ließ
ihn später im Waisenhause zu Potsdam erziehen.
Für arme Kranke ließ er in Berlin die Charitee erbauen, ein großes Kranken—
haus, in dem gleich im erslten Jahre 300 Kraͤnke Pflege fanden.
9. Tod. Schon in seinem 52. Jahre raffte ihn der Tod hinweg. Seinem
Sohn und Nachfolger hinterließ er ein trefflich eingeübtes Heer von 83000 Mann
und einen Staatsschatz von 26 Millionen Mark. — Das Land war durch ihn
um Vorpommern, das er den Schweden abnahm, vergrößert worden.
52. Friedrich der Große. 1740 1786.
a. Jugend.
1. Erste Kindheit. Friedrich wurde am 24. Januar 1712 geboren. Sein
Vater wollte aus ihm einen tüchtigen Soldaten, einen guten Christen und einen
sparsamen Wirt machen. Damit er ein tüchtiger Soldat werde, mußte er von
klein auf Uniform tragen, und Trommel, Säbel und Gewehr waren seine Spiel—
sachen. Als er kaum 5 Jahr alt war, bildete ihm sein Vater eine Kompagnie
von 110 adeligen Knaben, mit denen er soldatische Spiele übte, und vom 10. Jahre
an mußte er öfter als gemeiner Soldat mit Flinte und Tasche vor dem Sclosse
Schildwache stehen.
2. Zwiespalt. Dem Kronprinzen wurden jedoch die straffen, soldatischen
Spiele bald zuwider. Dazu kam noch, daß ihm duͤrch feinen französischen Erzieher
große Liebe zur französischen Dichtkunst eingeflößt war. Auch ergötzte er sich
gern mit Flötenspiel. Das waren lauter Dinge, die sein Vater durchaus nicht
leiden konnte. Fritz trieb sie daher im geheimen, aber der König merkte es doch
zuweilen und schalt ihn dann heftig aus, ja, drohte ihm auch wohl mit auf—
gehobenem Krückstocke. Trotzdem ließ der Kronprinz heimlich den Flötenspieler
Quanz aus Dresden kommen und sich von ihm Unterricht erteilen. Wenn er des
Vormittags mit den Soldaten in steifem Zopfe und enger Uniform die militärischen
Übungen ausgeführt hatte, dann machte er es sich des Nachmittags gern bequem und
überließ sich mit zierlichem Haarbeutel und in gesticktem Schlafrock mit Quanz den
Genüssen des Flötenspieles.
Eines Abends, als die beiden so gemütlich beisammen waren, hörten sie plötzlich den
Tritt des Königs. Schnell sprang Quanz in ein Versteck; Flöte und Noten wurden beiseite