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Da rieb sich Valentin die Äuglein und lauschte. Es war aber ein
wunderbares Klingen und Eingen, das sich vor dem Hause ver¬
nehmen ließ, und wie mit Harfenbegleitung hallte es:
0) beil'ges Rind,
wir grüßen dich
mit Darfenklcmg
und Lobgesang.
Du liegst in Ruh'
du heil'ges Rind;
wir halten Macht
in dunkler Nacbt.
® fjcil dein 6aus,
in das du kehrst!
Ls wird beglückt
und hoch entzückt!
Das hörten die Kinder, und es befiel sie eine freudige, bange
Angst, und sie traten ans Fenster, um zu schauen, was denn draußen
geschehe. — jm Osten sahen sie das Ulorgenrot glühen rnid vor¬
dem Hause viele Kinder stehen, die goldene Harfen und Lauten in
den Händen hatten und mit silbernen Kleidern angethan waren.
Erstaunt und verwundert ob dieser Erscheinung, starrten sie zum
Fenster hinaus; da berührte sie ein leiser Echlag, und als sie sich
umwandten, da sahen sie das fremde Kind vor sich stehen, das ein
Kleid von Goldstoff anhatte und mit einer glänzenden Krone auf
dem goldgelockten Haupte geschmückt war und sprach: „Ich bin
das Iesuskindlein, das in der XDelt umher wandelt, um frominen
Kindern Glück und Freude zu bringen. Ihr habt mich beherbergt
diese Uacht, indem ihr mich für ein armes Kind hieltet, und ihr
sollt nun meinen Eegen haben." Da brach es ein Reislein von
einem Tannenbaum, der am Hause stand, und pflanzte es in den
Boden und sprach: „Das Reislein soll zum Baume werden und
soll auch alljährlich Früchte bringen." Und alsbald verschwand es
mit den musizierenden Kindern — den Engeln. Das Tannenreis
aber schoß empor und ward zum IDeihnachtsbaum, der war be¬
hängen mit goldenen Apfeln und Eilbernüffen und blühte alle Jahr
einmal.
Und wenn ihr, liebe Kinder, zu IDeihnachten vor dem reich-
geschmückten Baume steht und euch freut, so gedenket auch der armen
Kinder, die kaum ein Etückchen Brot haben, um ihren Hunger zu
stillen, und danket Gott.