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Aber Freude und Leid sind nahe beieinander. Noch ehe
wir unsere Fahrt beendet haben, gleitet still und feierlich eine
lange Reihe von Kähnen an uns vorüber. Auf dem ersten
Kahne steht ein Sarg, mit einem großen weißen Tuche bedeckt.
Darin schläft ein alter Bauer seinen letzten Schlaf. Alle Leid—
tragenden machen ein ernstes und trauriges Gesicht. So fordert
es die Sitte. Von Zeit zu Zeit bricht ein lautes Weinen und
Wehklagen aus. Niemand, der zum Begräbnis gebeten ist,
darf sich von dieser allgemeinen Traurigkeit ausschließen.
Schwarzer Flor weht von den Hüten der Männer; im Gegen—
satz dazu ist die Trauerfarbe der Frauen weiß. Aber nicht
allein das Leichengefolge muß um den Verstorbenen trauern,
auch sein Vieh soll teilnehmen an der allgemeinen Traurigkeit.
Kaum hatte der alte Vater seine Augen für immer geschlossen,
so ging der älteste Sohn in das Bienenhaus, klopfte laut
weinend an jeden Bienenkorb und sagte: „Bienchen, Bienchen,
steht auf! Euer Wirt ist gestorben.“ Und als sie den Sarg
aus dem Hause auf den Kahn trugen, ging der Sohn in den
Stall, störte das Vieh auf, streüte ihm Futter und wehklagte:
„Steht auf, steht auf! Soeben tragen sie euern Wirt hinaus,
und er kehrt nie wieder.“
166. Das Denkmal des Großen Kurfürsten in Berlin.
Nach F. Wetzels Lesebuch.
Nur ein paar Schritte vom Königlichen Schlosse entfernt,
führt die Kurfürstenbrücke über die Spree. Auf ihr steht das
herrliche Standbild des Großen Kurfürsten. Hoch sitzt er auf
mutigem Rosse. Sein Auge blickt stolz und kühn. Das
Haar wallt ihm bis zur Schulter herab, und seine Hand hält
den Feldherrnstab, wie es einem Helden geziemt, der viele
Schlachten geschlagen hat. Und fast immer war er Sieger. Das
deuten die vier Männer an, die am Fußgestell angebracht sind.
Ihre beiden Arme tragen Ketten, und das Auge blickt flehend
empor zu dem hohen Herrscher, daß er sie nicht fühlen lasse
seinen schrecklichen Zorn. Sieh ihn dir an, den gewaltigen
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