235 
Sie hat in ihren jungen Tagen 
geliebt, gehofft und sich vermählt; 
sie hat des Weibes Los getragen, 
die Sorgen haben nicht gefehlt; 
sie hat den kranken Mann gepflegt; 
sie hat drei Kinder ihm geboren; 
sie hat ihn in das Grab gelegt 
und Glaub' und Hoffnung nicht verloren. 
Da galt's, die Kinder zu ernähren; 
sie griff es an mit heiterm Mut; 
sie zog sie auf in Zucht und Ehren; 
der Fleiß, die Ordnung sind ihr Gut. 
Zu suchen ihren Unterhalt, 
entließ sie segnend ihre Lieben; 
so stand sie nun allein und alt, 
ihr war ihr heitrer Mut geblieben. 
Sie hat gespart und hat gesonnen 
und Flachs gekauft und nachts gewacht, 
den Flachs zu feinem Garn gesponnen, 
das Garn dem Weber hingebracht; 
der hat's gewebt zu Leinewand; 
die Scheere brauchte sie, die Nadel, 
und nähte sich mit eigner Hand 
ihr Sterbehemde sonder Tadel. 
Ihr Hemd, ihr Sterbehemd, sieschätzt es, 
verwahrt's im Schrein am Ehrenplatz; 
es ist ihr Erstes und ihr Letztes, 
ihr Kleinod, ihr ersparter Schatz. 
Sie legt es an, des Herren Wort 
am Sonntag früh sich einzuprägen; 
dann legt sie's wohlgefällig fort, 
bis sie darin zur Ruh' sie legen. 
Und ich an meinem Abend wollte, 
ich hätte, diesem Weibe gleich, 
erfüllt, was ich erfüllen sollte 
in meinen Grenzen und Bereich; 
ich wollt', ich hätte so gewußt, 
am Kelch des Lebens mich zu laben, 
und könnt' am Ende gleiche Lust 
an meinem Sterbehemde haben. 
Chamisso.) 
182. Der Heldenmut. 
„—Herr Kapitän“, sagte James Maxwell, der Steuermann, „Herr 
Kapitan, mir kommt's vor, als röch' ich beuer; aber ieb kann nicht 
sfinden, wo es ist.“ Der Kapitän zieht den Atem an sich und riecht's 
auch; aber bald ist ihm wieder, als wäre es nichts, bald riecht er's 
wieder. Er sueht alles durch und kann niebts ünden. Aber je länger, 
je ärger wird der Brandgerueh, und endlieh in der Nacht, da sehon das 
ganze Dampfschiff voll des angsterregenden Gestankes ist, ruft er: 
„Maxwell, ich hab's gefunden; die Plammen brechen bei dem Rade dureh.“ 
„Dann wende ich das Schiff dem Ufer zu“, rief ihm dieser entgegen und 
sehlug sich vor die Stirn; denn er erkannte deutlieh die furehtbare Gefabr. 
Aber er falste sich, und als er sich allein sieht, fallt er auf die Kniee 
und ruft Gott an und betet: „O allmächtiger Gott, verleih' mir die 
Starke, jetzt treulich meine Pflicht zu erfüllen, und werde du selbst 
Pröster meiner Witwe und Vater meiner acht Waisleinl“ Darauf ergreift
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.