Full text: Lehr- und Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

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V. Segen und Dank. 
Allex Augen warten auf dich; und du 
giebst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. 
Du thust deine milde Hand auf und er— 
füllest alles, was lebet, mit Wohlgefallen. 
Ps. 145, 15 u. 16. 
42. Das Leben auf dem Lande. 
Die zehn Jahre Landleben auf dem stillen Dorfe, dessen Einsamkeit 
meinen Eltern, die bis dahin ihr ganzes Leben in Städten zugebracht 
hatten, oft so schwer zu tragen war, — mir sind sie das Paradies 
meiner Jugend, in das ich mich immer vergeblich zurückgesehnt habe seit 
all den langen Jahren, die dazwischen liegen zwischen dem Jetzt und dem 
Einst. Und was ich ihnen verdanke, diesen zehn Jahren des Lebens auf 
dem Lande in und mit der freien Natur, — es ist mehr, als ich sagen 
kann. Zunächst mein Leben selbst, dessen Erhaltung bei meiner damaligen 
Schwächlichkeit in der dumpfen Enge einer großen Stadt mehr als frag— 
lich gewesen wäre. Sodann die frühzeitige Erweckung des Sinnes und 
der Kiebe zur Natur, die immer und überall, selbst in ihrer Armut, schön 
ist, und in deren Verkehr ich mein Leben lang die reinsten Genüsse und 
den nachhaltigsten Trost für manches Leid gefunden. Ferner die Ge— 
wöhnung, ja die Freude an der Genügsamkeit, am Einfachen und Natur— 
gemäßen, die mich stets begleitet haben und mich leicht ertragen und ent— 
behren ließen, was anderen schwer und schmerzlich zu entbehren und zu 
ertragen war; die Abhärtung, die meinen schwachen Körper stählte und 
ihn geschickt machte, der Arbeit des Lebens zu genügen, die frühe Kennt— 
nis und das richtige Verständnis unseres Volkes, dessen Kinder meine 
Spielgesellen und Freunde waren, und dessen Tüchtigkeit, Fleiß, Genüg— 
samkeit, Biederkeit und Geduld bei fast unerträglichen Lasten und Mühen 
schon früh diesem „Volke“ mein ganzes Herz gewannen. Das alles und 
vieles andere noch verdanke ich dem Glücke, meine Jugend auf dem Lande 
verlebt zu haben. 
Nur auf dem Lande wird die volle Jugend genossen. Noch jetzt, 
nach langen Jahren, zwischen dumpfigen Stadtmauern in quetschender 
Häuserenge verlebt, schwillt mir die Brust bei der Exinnerung an diese 
Zeit des innigsten Zusammenlebens mit der Natur, wo jede Jahreszeit, 
seder Abschnitt des Daseins ganz anders lebhaft empfunden und genossen 
wird. Wie oft blickte ich mit wehmütigen Empfindungen auf meine eigenen 
Kinder, die im engen, hoch ummauerten Höfe unter meinen Fenstern kaum 
hin und wieder ein Streifchen Sonnenschein erhaschten, und denen der 
berkümmerte Birnbaum mit seinen spärlichen Blüten den ganzen Frühling 
ersetzen mußte! Und wie fremd war ihnen die Natur, wenn sie sonntags 
einmal hinaus kamen auf die staubige Landstraße oder in irgend einen 
öffentlichen Garten, wo das Klappern der Kegelbahnen oder harte Blech— 
musik den Gesang der Vögel ersetzte! Ach, alle Kinder sind beklagens— 
wert, deren Jugend der bunt gemalte Käfig großer Städte umgittert!
	        
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