30. Die Kinder der Armut.
3. Wie strahlte dann morgens so mancher Blick
Die Sonne zum erstenmal hell zurück!
Wie staunten einander die Glücklichen an
Und meinten, das hab' ein Engel gethan! —“
4. Der König lehnt im Palast allein
Und blickt hinaus in den Mondenschein,
Und schaut hinab in des Landmanns Haus
Und seufzt in das weite Schweigen hinaus
5. „Ach wär' ich ein Landmann nur eine Nacht,
Wie gern entriet ich der drückenden Macht!
Wie lehrt' ich mich selber die schwere Kunst,
Nicht irr' zu gehen mit meiner Gunst!
6. Wie wollt' ich ins eigne Herze mir sehn,
Um wieder es offen mir selbst zu gestehn!
Was tausend Hände mir nicht vollbracht,
Das wollt' ich gewinnen in einer Nacht!“
7. So schaun sie sinnend beim Sternenlauf,
Der König hinunter, der Landmann hinauf;
Dann schließen beide den müden Blick
Und träumen beide von fremdem Glück.
(Joh. Gabr. Seidl, geb. 1804 in Wien, daselbst 18. Juli 1875 als kaiserl. Beamter.)
30. Die Kinder der Armut.
L1. Es wohnt ein armer Mann in einer niedern Hütte;
Der dachte schweigend nachts auf seiner harten Schütte:
2. Ich sehe Müh' und Fleiß mit Reichtum nie belohnt,
Weil unsichtbar bei mir im Haus die Armut wohnt.
3. Ich wollte, daß einmal sie zu Gesicht mir käme,
So bät' ich sie, daß sie wo anders Wohnung nähme.
4. Da füllte sich der Raum mit einem mäß'gen Schimmer,
Und in bescheidnem Schmuck ein Weib trat in das Zimmer.
5. Ein rüstig Mädchen ging ihr an der einen Hand,
Indes ein holdes Kind sich schmiegt' an ihr Gewand.
6. Sie sprach zum Staunenden: Ich bin, die du verfluchest,
Die Armut, die du aus dem Haus zu bannen suchest.
7. Das rüst'ge Mädchen hier ist Arbeit, mein Geleit,
Und dieses liebe Kind ist die Zufriedenheit.
8. Das Mädchen schafft, was ich bedarf; es ist nicht viel,
Und dieses liebe Kind ist meines Alters Spiel.
9. Leb wohl, wir wollen nun bei dir nicht länger säumen;
Weit werde dir dein Haus, das enge, wenn wir's räumen.
10. Da ruft der Mann: Halt an! geh nicht, mein lieber Gast!
Ich dachte nicht, daß du solch ein Gefolge hast.
10. Der Armut will ich gern den Platz im Hause schenken,
Um der Zufriedenheit bei Arbeit zu gedenken. Griedr. Rücert.)
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