Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

73. Zeus und das Pferd. 
Hagel!“ platzte er heraus, besann sich aber glücklicherweise und dachte: 
Vielleicht ist's bloßer Zeitvertreib; macht's einem Spaß, so kann man der— 
gleichen unnütze Dinge thun, zumal hier im Himmel, wo man, wie ich schon 
bemerkt habe, doch nur faulenzt.“ Er ging weiter und sah einen Wagen, 
der in einem tiefen Loche stecken geblieben war. „Kein Wunder,“ sprach 
er zu dem Mann, der dabei stand, „wer wird so unvernünftig aufladen? 
Was habt Ihr da?“ „Fromme Wünsche,“ antwortete der Mann, „ich konnte 
damit nicht auf den rechten Weg kommen; aber ich habe den Wagen noch 
glücklich hinauf geschoben, und hier werden sie mich nicht stecken lassen.“ 
Wirklich kam ein Engel und spannte zwei Pferde vor. „Ganz gut,“ meinte 
Pfriem, „aber zwei Pferde bringen den Wagen nicht heraus, viere müssen 
davor.“ Ein anderer Engel kam und führte noch zwei Pferde herbei, 
spannte sie aber nicht vorn, sondern hinten an. Das war dem Meister 
Pfriem zu viel. „Tolpatsch,“ brach er los, ‚„was machst du? Hat man je, 
so lange die Welt steht, auf diese Weise einen Wagen herausgezogen? Da 
meinen sie aber in ihrem dünkelhaften Übermut alles besser zu wissen.“ — 
Er wollte weiter reden; aber einer von den Himmelsbewohnern hatte ihn 
am Kragen gepackt und schob ihn mit unwiderstehlicher Gewalt hinaus. 
Unter der Pforte drehte der Meister noch einmal den Kopf nach dem Wagen 
und sah, wie er von den vier Flügelpferden in die Höhe gehoben ward. 
In diesem Augenblick erwachte Meister Pfriem. „Es geht freilich im 
Himmel etwas anders her als auf Erden,“ sprach er zu sich selbst, „und da 
läßt sich manches entschuldigen; aber wer kann geduldig mit ansehen, daß 
man die Pferde zugleich hinten und vorn anspannt? Freilich, sie hatten 
Flügel, aber wer kann das wissen? Es ist übrigens eine gewaltige Dumm— 
heit, Pferden, die vier Beine zum Laufen haben, noch ein Paar Flügel an— 
zuheften. Aber ich muß aufstehen, sonst machen sie mir im Hause lauter 
verkehrtes Zeug. Es ist nur ein Glück, daß ich nicht gestorben bin.“ 
Wilh. Grimm, geb. 1786 zu Hanau, 3 16. Dez. 1859 als Prof. in Berlin, Dichter und Sprach— 
forscher. Noch bedeutender ist dessen Bruder Jakob Grimm, geb. zu Hanau 1785, au Berlin 
20. Sept. 1863. 
73. Zeus und das Nferd. 
(Fabel) 
„Vater der Tiere und Menschen,“ so sprach das Pferd und nahte sich 
dem Throne des Zeus, „man will, ich sei eines der schönsten Geschöpfe, 
womit du die Welt gezieret, und meine Eigenliebe heißt es mich glauben. 
Aber sollte gleichwol nicht noch verschiedenes an mir zu bessern sein?“ — 
„Und was meinst du denn, das an dir zu bessern sei? Rede! ich nehme 
Lehre an,“ sprach der gute Gott und lächelte. 
„Vielleicht,“ sprach das Pferd weiter, „würde ich flüchtiger sein, wenn 
meine Beine höher und schmächtiger wären; ein langer Schwanenhals würde 
mich nicht entstellen; eine breitere Brust würde meine Stärke vermehren, 
und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen, 
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