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91. Die wundervolle Ordnung des Staates.
Was sollte aus uns werden, wenn plötzlich alles das aufhörte, was
wir jetzt an staatlicher Fürsorge genießen; wenn sich außer unsern nächsten
Angehörigen niemand mehr um uns bekümmerte; wenn wir Haus und
Hof, Handel und Wandel und selbst unser Leben und Sterben dem bloßen
guten Willen der Menschen anheimstellen müßten; wenn jeder sich selbst
zu schützen hätte und uns keine Obrigkeit bewachte! Wie schnell wären
alle die Güter vernichtet, deren wir uns jetzt erfreuen, wie rasch würden
wir in jenen Zustand zurücksinken, wo jeder allein für sich sorgt und
nur das Recht des Stärkeren gilt! Was würde aus allen den gemein—
nützigen Einrichtungen werden, die jetzt unser Leben fördern und uns
Sicherheit oder doch, wenn das Unglück einmal nicht zu verhüten ist,
Hilfe bieten, und zwar nicht nur gegen die Eingriffe der Menschen, wie
Diebstahl, Mord ꝛc., sondern auch gegen feindliche Naturgewalten, wie
Feuers⸗, Wassers- und Hungersnot, verheerende Krankheiten ꝛc. Es
würde sich das Wort Schillers erfüllen:
„Nichts Heiliges ist mehr; es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu;
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.“
Und wenn wir etwa meinen wollten, dafür sei der Staat, den sich
überhaupt manche fälschlich nur als einen unbequemen Gebieter und
Steuerforderer denken, nicht notwendig, das nämliche ließe sich auch
durch eine einfache Verabredung der Bürger unter einander erreichen: so
fragt euch nur, wie lange es mit dem guten Willen aller einzelnen Mit—
glieder einer solchen Gesellschaft dauern würde, an der jemand nur teil—
nähme, wie etwa an einem Turnvereine oder Sängerbunde, — wie
lange es dauern würde, wenn nicht das zwingende Band des Staates
das Ganze zusammenhielte! Gewiß ist es eine lobenswerte Sache um
die vielen Vereine, welche die Menschen, zumal in unseren Zeiten, gründen,
um Sparkassen, Witwenkassen, Lebens-, Feuer-, Wasser- und Hagel—
versicherungen u. dgl. Aber alle diese Genossenschaften können sich nur
bilden, wo schon ein Staat vorhanden ist, und sie haben ihren Bestand
nur unter dem Schutze der staatlichen Ordnung, die der Dichter eine
segensreiche Himmelstochter nennt. Die Stadt- oder Dorfgemeinde kann
ihre Zwecke nur erfüllen, insofern sie als ein Glied in jenes größere
Ganze eingefügt ist.
Der Staat also ist es, der die gegenseitigen Beziehungen seiner
Bürger regelt, sie in der Ausübung ihrer Thätigkeit schützt und fördert;
der die Gesetze über Eigentum, Gewerbsbetrieb, Landeskultur, Bildungs—
wesen ꝛc. gibt und aufrecht erhält; der die Strafen für Übertretungen