Full text: Lesebuch für weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen

13. In der Kinderstube. 
Anspruchslosigkeit, eingeimpft. Das Kind muß lernen, das Gute zu thun 
weil es gut ist, weil es seine Pflicht ist, nicht weil es Lohn dafür bekommt 
Fehler durch weise Strafen zu bessern, ist die schwere Aufgabe der Er— 
zieher. Ungerechtes Strafen verwundet des Kindes Herz, verwirrt seine Be— 
griffe, lähmt seinen Mut und macht es scheu, ängstlich und furchtsam. Man 
muß daher im Strafen vorsichtig sein und die Beweggründe des Kindes, die 
es zu diesem oder jenem Worte, zu dieser oder jener Handlung verleiteten, 
wohl berücksichtigen. Man überlasse sich nie der ersten Regung des Zornes. 
Fehler, wie Trotz, Zorn, üble Laune müssen, wo Ermahnungen nichts 
fruchten, mit der Rute bekämpft werden; man lasse sich ja nicht zu dem 
Mißgriff verleiten, dem Kinde, um es zu beschwichtigen, zu geben, was es 
im Zorn oder Trotz verlangt, oder dessen Versagung es in üble Laune ver— 
setzt hat. 
Soll der Vater auch nicht zu oft mit den Unarten und Fehlern der 
Kinder behelligt werden, so ist doch ein ernstes Wort aus seinem Munde 
oder eine nachdrücklichere Strafe von seiner Seite ein wirksames Hilfsmittel 
bei der Erziehung. 
Die Grundlage aller Erziehung sollte Einfachheit sein. Wenn wir 
das Kind zur Einfachheit erziehen wollen, so müssen wir es an möglichst 
wenig Bedürfnisse gewöhnen. Wir erweisen ihm dadurch eine unschätzbare 
Wohlthat. Dem Kinde, welchem der Luxus in der Kleidung, in Speisen, 
welchem das Übermaß in Freude fremd ist, dem bleiben auch Eitelkeit, Stolz, 
Naschsucht, Genußsucht, Unbescheidenheit, Habsucht, Neid, Mißgunst fremd, 
dem blühen unzählige Freuden mehr, als dem mit Genüssen aller Art über— 
sättigten Kinde; es ist glücklich in seinem bescheidenen Kleidchen, es ist froh 
bei seinem einfachen Mahl; das Unbedeutendste kann ihm Freude machen; 
Enthaltsamkeit, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung und haushälterischer Sinn — 
welch' schöne Früchte der Erziehung zur Einfachheit! Sie macht die Kinder 
reich; mit ihrer Genügsamkeit tragen sie eine Quelle zur Wohlfahrt, zum 
Wohlstand in sich. Sie sind bei wenigem glücklich; sie werden das bleiben, 
wenn das Schicksal sie auf dem gewöhnlichen Wege des Mittelstandes läßt; 
bietet es ihnen einst mehr, so werden sie in der besseren Lage nicht übermütig 
werden. Ihre Genügsamkeit schließt die häßliche Selbstsucht aus und macht 
ihnen die Selbstverleugnung leichter. 
Wo die kindliche Einbildungskraft in ihrer Reinheit erhalten, wo un— 
nützes Geschwätz in Gegenwart des Kindes vermieden wird, da bleibt sein 
Geplauder kindlich rein und wahr. Was könnte nun das Kind zur Un— 
wahrheit, zur Verstellung, Täuschung und Lüge verleiten? — Eine unzweck— 
mäßige Behandlungsweise, ein naturwidriges und ungerechtes Strafen, wo 
wir es bloß belehren sollten; denn oft lügt ein Kind in der Übereilung oder 
aus Leichtsinn oder aus Furcht vor harter Strafe. Wir trüben durch unge— 
rechtfertigte Strafen die kindliche Natur; wir ersticken das Vertrauen in ihr. 
Seines Unrechtes bewußt, verbirgt sich das Kind vor dem forschenden Auge
	        
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