Object: Charaktere aus der neuen deutschen Geschichte vornehmlich in zeitgenössischer Schilderung

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legenheiten, welche ihm seine eigenen Räte durch die griechischen An¬ 
gelegenheiten bereitet hatten; da konnte er jeden Tag das Überwuchern 
der revolutionären Prinzipien schauen, deren Keime er in seiner Ver¬ 
blendung während der früheren Jahre im eigenen Reiche selbst aus¬ 
gestreut hatte. Alle diese peinlichen Umstände stürzten sein Gemüt und 
seinen Geist in eine sichtbare Erschlaffung. Der Überdruß am Leben 
begann von dort an sich an ihm zu zeigen. Sein Körper, anscheinend 
so rüstig, litt unter den moralischen Eindrücken. Es war während 
seines Aufenthaltes in Verona gegen Ende des Jahres 1822, wo 
Alexander dem Kaiser Franz sein sicheres Vorgefühl einer nicht mehr 
langen Lebensdauer vertraute. Das Übel machte immer Forschritte, 
und im Jahre 1825 erlag Alexander einer vollständigen Lebens¬ 
müdigkeit. 
Es ist kein Zweifel, daß unter die Ursachen, welche direkt beigetragen 
haben, seine Tage abzukürzen, jener schmerzliche Gefühlskonflikt zu rechnen 
ist, der ihm durch die Aussicht auf den Prozeß bereitet war gegen Ver¬ 
schwörer, deren Hauptschuldige dem Kaiser den Vorwurf machen konnten, 
durch ihn selbst verleitet worden zu sein. 
In allem, was das Privatleben betraf, folgte Alexander nur reinen 
und einfachen Neigungen, die aber deu Stempel gewählter Eleganz 
trugen. Mit den Wissenschaften hat er sich wenig befaßt, und ich habe 
bei ihm nie eine ausgesprochene Neigung zu irgend einem Zweige derselben 
entdeckt. Unter den schönen Künsten liebte er nur die Architektur. Sein 
kurzes Gesicht und eine etwas hinderliche Schwerhörigkeit gestatteten ihm 
nicht, sich dem Kultus der anderen Künste hinzugeben, die man nur durch 
das Mittel jener Sinne genießt, deren Vollkommenheit ihm versagt 
war. Er liebte die Arbeit im Kabinett, wenn sie nicht über die poli¬ 
tische Sphäre und die militärischen Details hinausging. Er hatte eine 
ausgesprochene Abneigung gegen rein administrative Gegenstände, und 
wenn er sich mit ihnen befaßte, konnte es wohl nicht anders kommen, 
als daß er dabei von den politischen Theorieen beeinflußt war, zu denen 
ihn die Eigenart seines Geistes jeweilig hinzog. Die Verwaltungs¬ 
geschichte seines Reiches während der ganzen Dauer seiner Regierung 
beweist, wie wirksam und wie schädlich diese Einflüsse waren. 
Der treue Geschichtschreiber wird Mühe haben, den Charakter 
dieses Fürsten richtig - zu beurteilen. Seine Blicke werden nur zu oft 
über grellen Widersprüchen schweben und sein Geist nur schwer einen 
festen Standpunkt gewinnen, so notwendig für denjenigen, der sich zu 
der edlen Aufgabe berufen fühlt, Geschichte zu schreiben. 
Der Geist und das Herz dieses Fürsten umschlossen so entgegen¬ 
gesetzte moralische Anlagen, daß eine gewisse Charakterstärke, mit der er 
begabt war, unmöglich genügen konnte, unter seinen Neigungen das 
Gleichgewicht zu erhalten. 
Jeder Abschnitt seines Lebens war mit Fehlgriffen und Verirrungen 
bezeichnet, schwer genug, um sich für ihn und die öffentliche Sache zu 
Bloßstellungen zu gestalten. Immer von der Begeisterung hingerissen
	        
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