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mitwirken: die ganze Mathematik, Physik, Mechanik, die in der Herstellung
des eisernen Äpparates liegt, die ganze Kultur sehr verfeinerter, in
bestimmten Zonen gewonnener Rohprodukte, die industrielle, von tausend
Voraussehungen abhängige Lebenstätigkeit der Spinnereibetriebe, die mühe—
volle Chemie unzerstörbarer Farben für Faserprodukte, die in Jahrhunderten
rwachsene Arbeitserfassung und Arbeitsweise der Strumpfflechterei selbst,
die Moglichkeit überseeischen Transportes, die Kalkulation der Preise im
allgemeinen Handel, der gesamte mit der Mode wechselnde Geschmack des
Zeltalters. Inmitten dieser Elemente sitzt irgendwo ein einzelner Mensch
Und versucht sein persönliches Ich in die Idee Strumpf hineinzulegen,
seinen Geschmack, seine Berechnung, sein Glück. Er muß in dieser Sache
aufgehen, wenn er Fortschritt schaffen will. Ob ihm die Lust am Profit
oder die technisch⸗künstlerische Neigung in die Arbeit hineintreibt, ist für
den Erfolg fast gleichgiltig, wenn nur sein schaffendes Ich als solches
stark genug ist, um über die Grenzen seiner Vorgänger hinauszuschreiten.
Nicht alle Arbeiten gestatten ein entwickeltes Ich. Betrachtet man
bei einem Bahnbau die lange Reihe von Männern, welche Sand und
Steine im Schubkarren verladen, so muß man sich sagen, daß bei ihrer
Tätigkeit ihre individuelle Eigenart fast tot bleiben muß. Was kann in
diesein Trott A wesentlich anders tun als B? Dasselbe ist selbst bei
bielen industriellen Arbeiten der Fall. Man betrachte z. B. die Mädchen,
die in der Schokoladenfabrik die Schokolade einpacken, den Dreher im
Eisenetablissement, der Tag um Tag dasselbe Knöpfchen dreht! Wie
wenig Ind widualität (Eigenart) kann im Vergleich zu dem Techniker, von
dem wir sprechen, der einzelne Strumpfwirker in seine Arbeit hineinlegen!
Er ist fleißiger, geschickter, schneller als sein Nachbar, aber die Maschine,
an der er sieht, ist nicht anders als die andere, und die Maschine, nicht
er bestimmi Tempo und Art der Leistung. Er ist nur Hilfskraft. Fast
scheint es, als ob durch unsere maschinelle Entwicklung sich der Prozentsatz
persönlich unselbständiger Menschen vermehrte, und man muß fragen:
werden die Menschen im Maschinenzeitalter freier oder unfreier? Jeden—
falls wird es im Maschinenzeitalter eine große Unterschicht von persönlich
unentwickelten Menschen geben. Hieran wird auch die beste Arbeits—
verfassung wesentliches nicht ändern können.
Andrerseits aber darf nicht unbeachtet bleiben, daß die Maschine in
ihrer fortschreitenden Selbstenthüllung soviel Plätze für Intelligenz schafft,
wie sie in keinem früheren Zeitalter vorhanden waren. Die Stellen, wo
ein Ich in die Materie hineingelegt werden kann, vermehren sich. Fast
scheint es, als ob wir künftig nicht mehr im handwerksmäßigen Kleinbetrieb,
sondern im Großbetrieb der ss von Werkzeugmaschinen die eigentliche
Heimat der fortschreitenden Personenentwicklung suchen sollten. Dazu kommt
die Fülle von Personalleistung im modernen Haundel
Die traumhaft schöne Idee von dem Maschinenzeitalter, das lauter
freie, große Charaktere schafft, schwebt über den Dingen, die Angst, als
ob die Maschine allen Charakter ruiniere, lebt außer der Wirklichkeit; die
Wahrheit ist, daß eine neue Gruppierung stattfindet, an die wir uns ge—
wöhnen müssen. In der Beseelung des Eisens liegt zukünftig die erste
Arbeit gerade unseres deutschen Volkes.
Mach Fr. Naumann, Naumann-Buch S. 113 - 121.)