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Dampftaktschlägen, arbeitete die auf die ganze Kraft gesetzte Maschine, doch
der Atem drohte ihr auszugehen, bevor die Höhe erklommen. Ihre Laufräder
waren durch Kuppelung in Triebräder umgewandelt worden, aber ihr fehlte
noch die neueste Kletterstütze. Ein namenloses, unabsehbares Unheil drohte
den Zug heimzusuchen, wenn die Lokomotive die Höhe nicht erzwang. Felsige
Abgründe und in der Tiefe brausende Wildbäche konnten das Grab all des
Eigentums und Lebens werden, falls der durch nichts zu hemmende Zug
wieder rückwärts talab raste. Der Lokomotivführer, dem Anscheine nach die
unverwüstliche Ruhe selbst, stand auf dem Trittbrett der Maschine, die Hände
an dem Griff, der die Sandbüchse öffnet. Es mußte ihm doch zu heiß
geworden sein, dem kalten Mann. Die Fellmütze lag auf dem Tender, der
Pelz zu seinen Füßen. Sandkörnlein um Sandkörunlein rann auf die Schienen,
auf denen die Räder nicht mehr greifen wollten. Endlich wurde die Höhe
erklommen. Ein andermal trennte sich der mit vollem Dampf dahinsausende
Zug durch das Reißen einer Kuppelung, und nur der Umsicht des Führers
war es zu danken, daß ein großes Unglück abgewendet wurde. Er schenkte
dem ihm plötzlich gewordenen Haltesignal absichtlich keine Beachtung; hätte
er es getan, so würde der hintere ausgelöste Zugteil, dem trotz der Äus—
lösung noch die Schnellkraft innewohnte, mit dem vorderen, auf den Schienen
haltenden Wagenpark einen Zusammenstoß erlitten und ihn in schlimmstem
Falle aus dem Geleise geworfen haben. So aber brachte er den vorderen
Zugteil erst dann zum Stillstande, als der hintere durch die Bremsen in
seinem Laufe gehemmt worden war.
Der Beruf des Lokomotivführers ist so verantwortungsvoll, daß er sprich—
wörtlich beständig mit einem Fuße im Grabe steht. Der moderne Fort—
schritt, die Erfindung immer vollkommener werdenden Sicherheitsvorrichtungen
lassen den verantwortungsvollen Beruf des Lokomotivführers nach und nach
weniger gefahrvoll werden; und die Triumphe, welche Mechanik und Technik
noch täglich feiern, werden nicht zum letzten auch den braven, pflichttreuen
Lokomotivbeamten zugute kommen.
(Aus Fr. Bücker, Arbeiter der Neuzeit, Gotha bei Fr. A. Perthes, S. 9ff. Stark gekürzt.)
306. Bahnwärter und Weichensteller.
Welche Verschiedenheit des Dienstes! Während dem Lokomotivführer das
bewegliche rastlose Dampfroß mit allen seinen guten und bösen Eigenschaften
in die Hände gegeben ist, hat der Bahnwärter den starren kalten Bahnkörper
mit seinen rusigen Geleisen unter seiner Obhut. Und dennoch hat der in
unsern Augen tote Strang in den Augen des Bahnwärters Bewegung, ja
Leben, möchte man sagen, und seine Aufgabe ist es, dieses Leben bis in die
feinsten Kanäle zu verfolgen. Wir sehen es freilich nicht, wie Hitze und Frost
die Schienen strecken oder zusammenziehen, wie jeder über eine Meile Geleis
rollende Zug mindestens zwei Pfund Eisen verreibt, die als Staub in den
Boden verschwinden. Wir sehen es ferner nicht, wie der Rost an den
Schienen, Nägeln, Trägern, Bolzen und Schrauben nagt, wie die Schwellen
durch die Fäulnis morsch, bröcklig und weich werden, aber der Bahnwärter
siehts und muß es sehen. Da geht er, sein Handwerkszeug in der Hand,
die Bahn entlang und prüft die Schienen. Er hält wohl auch murmelnd
ein Zwiegespräch mit seinen Pflegebefohlenen.