Full text: [Teil 2, [Schülerband]] (Teil 2, [Schülerband])

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4. Gefahr und Rettung. 
Ich mochte etwa zehn Jahre alt sein, da schickte mich meine 
Mutter in den Keller, um einen Krug Wein heraufzuholen; denn es 
war eben die Erntezeit, und der Wein sollte den Schnittern auf das 
Feld gebracht werden. Ich war immer frohen Gemütes und sprang 
fast mehr, als ich ging; und da ich mich in dem dunkeln Keller fürchtete 
und mir Herz machen wollte, sprang und tanzte ich noch ärger als 
sonst. Nun ist Harrach, wo ich geboren bin, auf alte Schachte gebaut, 
die aber seit Jahren verfallen sind. Um den ganzen Ort liegt das 
Gestein des eingegangenen Bergwerks, und in manchen Häusern sind 
halb offene Gänge, die man zum Teil zu Kellern eingerichtet hat. 
Auch unser Haus war auf einen Schacht gebaut, was aber niemand 
wußte, oder woran niemand dachte — ich weiß es nicht. Da ich 
nun so herzhaft sprang und eben den Krug, der in der Ecke stand, 
ergriffen hatte, tat sich die Erde unter mir auf, und ich sank —ich 
weiß selbst nicht mehr wie — hinab. Ich hätte mich vielleicht halten 
können; aber ich wollte den Krug nicht fahren lassen, den ich in der 
Hand hielt, und so fuhr ich wohl haushoch in die Tiefe und wäre 
in den Abgrund hinabgestürzt, hätte nicht ein Haken, der zur Be¬ 
festigung der Fahrten gedient haben mochte, meine Röcke ergriffen. 
Da ich beim Hinabstürzen entsetzlich schrie, hörte meine Mutter, die 
eben in der Küche beschäftigt war, mein Angstgeschrei und kam mit 
einem Lichte herbeigelaufen; und da sie die Öffnung sah und mich 
nicht fand, auch auf ihr Rusen keine Antwort bekam, mußte sie wohl 
glauben, ich sei in der Tiefe umgekommen. 
Meine Mutter hat mir oft erzählt, der Schreck habe sie so 
außer sich gesetzt, daß sie mir fast nachgestürzt wäre. Es sei ihr 
dunkel vor den Augen geworden; sie habe sich auf ihren zitternden 
Knien kaum halten können; aber der Gedanke, daß doch vielleicht noch 
Rettung möglich sei, habe ihr wieder Kraft gegeben. Sie eilte die 
Treppe hinauf und rief um Hülfe; aber niemand hörte sie, da alles auf 
dem Felde war. Erst da sie die Straße hinablief und immer ängstlich 
schrie, hörten einige Nachbarinnen das Unglück, liefen herzu, saher 
händeringend in den Schacht hinab und wußten keine Hülfe. 
Ich hatte beim Fallen das Bewußtsein verloren, und ich wäre 
nur gar zu glücklich gewesen, wenn es nicht eher als nach meiner 
Rettung zurückgekommen wäre. Aber ich kam nach einiger Zeit wieder 
zu mir selbst. Wo ich war, wußte ich nicht; aber ich fühlte, daß ich 
zwischen Himmel und Erde schwebte, und daß ich vielleicht in dem 
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