Full text: Deutsches Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen

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macher und nahm ihn als seinen Lehrmeister auf das Schloss, 
in welechem eine Werkstätto eingerichtet wurde, und in wenigen 
Monaten war der Graf mit allen Kunstgriffen der Korbflechterei 
so vertraut und in den nötigen Arbeiten so geübt, dass er die 
festesten und zierlichsten Körbe und Körbehen, wahre Kunst- 
stũcke, verfertigen konnto. 
Er sendeto eine ganzo Sammlung der schönsten Arbeiten 
in den Palast seiner Geliobten und überbrachte am andern Tage 
dem Vater derselben ein von den Vorstehern der Pariser Korb- 
macherzunft ausgestelltes Meisterzeugnis. 
Der Herzog führte den Brautwerber zu seiner Tochter und 
ihrer Mutter. 
„VNie gesfallen Euch die Körbe?“ fragte er die Prauen. 
„Sie sind sehr schön, wir wollen sio alle behalten und dem 
Meister keinen zurückstellen,“ sagtoe dio Mutter freundlich. 
„Nicht wahr, meine liebe Tochter?“ 
Die Prinzessin nickto mit dem Haupte. 
„Da haben Sie, Graf, Ihre Antwort,“ sagte der Herzog und 
schloss den Schwiegersohn in seino Armoe. 
Eine Woche darauf war dié Hochzeit. — 
WVenige Jahre später brach dio Revolution in Paris aus. 
Der Herzog fiel als eines der ersten Opfer in jenen Gräueln; 
seine Gũter wurden eingezogen; seine Gemahlin starb aus Gram 
und Schrecken ũüber die furchtbaren Ereignisses; der Graf mit 
soiner Frau teilten das Los der Auswanderer und retteten von 
allen ihren Reichtüũmern nichts als das nackte Leben. 
Um für sich, seine Frau und zwei Kinder in der Premde 
den Lebensunterhalt zu schaffen, arbeiteto der Graf zuerst bei 
einem Korbmacher in einer grossen Stadt und gründete dann 
ein eigenes Geschäft, welches dureh die ausserordentliche Kunst- 
fertigkeit und den guten Geschmack der schönen FPormen bald 
viels Käufer anzog und gute Abnahme der Waren fand. 
Das ererbto Herzogtum der Eoefrau, die Grafschaft des 
Gatten konnte einer bescheidenen FPamilio nicht mehr das täg- 
liche Brot lieforn, sie waren verschwunden; der goldene Boden 
des Handwerkes war fest genug geblieben, um darauf 
einen sichern Hausstand zu gründen. 
Sollto das der Urahne des Herzogs in seiner Weishbeit 
vorausgesehen haben, als er das Hausgesetz aussprach: Jedoer 
seiner Nachkommen müsse ein Handwerk lernen? 
Aus Richters Lesebuch für PVortbildungsschulen.
	        
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