Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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solle. Als einmal im Jahre 1471 die Leipziger Schustergesellen von 
einigen Mitgliedern der Universität beleidigt waren, kündigten sie 
sämtlichen Doktoren, Lizentiaten, Meistern und Studenten Fehde 
an zur Ehre ihres Waffenrechts und zur Verteidigung ihrer 
Standesehre. 
Die Standesehre der Gesellen fand ihren besonderen Halt in 
den Gesellenverbänden, die sich unter vielen Kämpfen mit 
den Meistern vornehmlich während des 15. Jahrhunderts ent— 
wickelten und am Ende desselben ihre höchste Blüte erreichten. Diese 
Verbände und Brüderschaften waren nach dem Vorbilde der Ge— 
samtzunft gebildet und blieben mit ihr im Zusammenhang; aber sie 
hatten ihre eigenen „Rollen“ und Statuten, wählten eigene Vor— 
stände und Beamte, übten die Gerichtsbarkeit in allen genossenschaft— 
lichen Angelegenheiten, in gewissen Fällen sogar bei Streitigkeiten 
mit den Meistern; sie erhoben Beiträge und Strafgelder und ver— 
walteten ihr gemeinsames Vermögen, aus welchem sie kranke und 
verarmte Mitglieder unterstützten und Vorschüsse gaben. Wurde 
Gericht gehalten, so führte der Altgeselle den Vorsitz und hatte zum 
Zeichen seiner richterlichen Würde den Gesellenstab in der Hand. 
Aber nach germanischer Weise war er nur Frager des Rechts; die 
in einem Kreise umherstehenden Gesellen brachten alle Rügen vor, 
sie fanden das Urteil und ließen es durch den Junggesellen vollziehen. 
Wie die Meisterzünfte waren auch die Gesellenverbände Zwangs— 
körperschaften; in allen Bruderschaftsurkunden ist der gezwungene 
Beitritt ausgesprochen und gegen diejenigen, welche nicht teilnehmen 
wollen, wird mit Ausschluß jeder Gemeinschaft in der Arbeit und 
im geselligen Leben gedroht. Die gewöhnlich alle vierzehn Tage oder 
vier Wochen wiederkehrenden Zusammenkünfte geschahen „wegen 
Fried und Einigkeit und Erhaltung der Herberge“ 
Der deutsche Gesell gehörte demnach, solange er in einer 
Stadt in Arbeit stand, zu einer freien, mit einer ausgebildeten Ver— 
fassung versehenen Genossenschaft, die ihm Familie und Heimat zu 
ersetzen bestimmt war. Wurde er krank, so war er keineswegs sich 
selber noch der öffentlichen Mildtätigkeit überlassen, sondern wurde 
in der Familie des Meisters oder durch die Mittel seiner Bruder— 
schaft verpflegt. „Wann etwa unser Herrgott einen gulen ehrlichen 
Gesellen mit Leibeskrankheit möchte angreifen, so soll demselbigen 
aus der Gesellenlade geliehen werden, wenn er zwei Bürgen hat, bis 
daß er wieder zu seiner Gesundheit kommt, alsdann soll er's wieder— 
Lesebuch für gewerbl. Fortbildungsschulen.
	        
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