Full text: Lesebuch für gewerbliche Fortbildungsschulen

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Die innere Ausstattung war, dank der Entwickelung des 
Münchener Kunstgewerbes, dem äußeren Schmuck vorangeeilt. Im 
letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts schon wurden die 
Wohnungen des mittleren, und wohlhabenderen Bürgerstandes mit 
einem Geschmack ausgestattet, der in Kunstgewerbeausstellungen und 
Künstlerwohnungen reiche Anregung fand. In kurzer Zeit waren 
nicht bloß die Architekten sondern auch die Schreiner und Tapezierer, 
Vergolder und Stukkateure, Töpfer und Schlosser so weit, daß sie 
nichts Geschmackloses mehr schaffen wollten. 
Und die Wohnungen wurden nicht bloß schöner sondern auch 
gesünder. Eine höchst einsichtsvolle Stadtverwaltung scheute kein 
Opfer in dieser Richtung. Der in München noch in den sechziger 
Jahren stark herrschende Typhus und ein paar verheerende Cholera⸗ 
epidemien waren furchtbare Lehrmeister. Dem genialen Scharf⸗ 
blick eines Max von Pettenkofer, der sich damit unsterbliche Ver— 
dienste um die Stadt München erwarb, war es vorbehalten auf 
die Durchseuchung des den Münchener Straßen zur Unterlage 
dienenden Kiesbodens aufmerksam zu machen. Die Münchener 
Stadtverwaltung war weise genug dieser Anregung zu folgen; man 
baute ein großartiges Kanalsystem und leitete aus den Alpen her 
einen mächtigen Bergquell frischen und reinen Wassers in mäch⸗ 
tigen Röhren nach München um das mit Giftkeimen durchsetzte 
Wasser der alten Pumpbrunnen zu ersetzen. Die Wirkung war 
eine erstaunliche; aus einer der in gesundheitlicher Hinsicht ver— 
rufensten Städte ward München eine der gesündesten und dies im 
Laufe weniger Jahrzehnte. 
Dabei ward eine neue gute Bauordnung so ernsthaft gewahrt, 
daß den Häusern Licht und Luft erhalten blieb. Und wo es mög⸗ 
lich war, wurden, um landschaftliche Schönheit und gesundheitliche 
Ausgestaltung der Stadt zu sichern, Gartenanlagen gepflanzt. Was 
die städtische Verwaltung seit einem Menschenalter geschaffen hat: 
der prachtvolle gotische Rathausbau, die Schulhäuser, die Kirchen, 
die Spitäler, die Brücken und Strombauten, die Kanäle, Wasser— 
leitungen und Brunnen, ihre elektrischen Kraft- und Beleuchtungs⸗ 
anlagen, die anmutigen Gärten: es ist alles mustergültig. 
Wenn eine Stadt ihr äußeres Gesicht so verändert, wie es 
München im Laufe von einem halben Jahrhundert getan hat, so muß 
das notwendig mit einer sehr bedeutenden Umgestaltung der städtischen 
Bevölkerung zusammenhängen. München zählte in der ersten Hälfte
	        
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