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zu lassen, durch Preußen Deutschland zu einigen. Schwer entschloß
er sich die Entscheidung für einen Krieg zu treffen, dessen Schrecken
und Greuel er als Jüngling bereits kennen gelernt hatte. Als dann
der Kampf begonnen hatte, sah man den Siebzigjährigen seinen
Kriegern ein leuchtendes Vorbild fürstlichen Mutes und unentwegter
Aufopferungsfähigkeit geben. Das deutsche Volk in Waffen wußte
es, daß sein Kaiser allezeit mit ihm gemeinsam die Gefahren des
Schlachtfeldes teilen werde. Bis in die letzten Tage seines Lebens
galt der Stärkung der Wehrkraft und der Ausbildung der Armee
seine vornehmste Sorge; dabei aber widmete er den anderen Seiten
des staatlichen Lebens nicht minder Aufmerksamkeit. Die Tätigkeit
des Landmannes wie des Handwerkers, des Kaufmannes wie des
Industriellen fand gleiche Förderung durch sein königliches Wirken;
mit dem ihm eigenen klaren Blicke lebte er sich auf den Gebieten
von Kunst und Wissenschaft ein, die seiner früheren Tätigkeit ferner
als manches andere gelegen hatten. Künstler wie Gelehrte Deutsch—
lands verdanken ihm große Förderung in ihrem Schaffen. Mit
reger Teilnahme verfolgte er die Ausgrabungen in Olympia und
ließ sich, als die Tonfiguren in Tanagra (Böotien) entdeckt und von
der Akademie in Abbildungen herausgegeben waren, Vortrag dar—
über halten.
Solange Deutschland bestehen wird, solange noch eine deutsche
Zunge auf dem Erdball erklingt, solange noch Menschen Sinn und
Verständnis für deutsche Art und deutsches Wesen besitzen, wird
Kaiser Wilhelms Name unvergessen bleiben. Unverwelklich wird
sein Ruhmeskranz auch der Nachwelt erhalten werden; aber wenn
man ihn rühmen wird als den siegreichen Helden und Einiger Deutsch—
lands, als den Regenten, welcher der Wende des Jahrhunderts noch
den Stempel sozialer Gesetzgebung aufgedrückt hat, dann soll man
nie die Erhabenheit seiner menschlichen Tugenden vergessen, wie er
unter uns gewandelt ist in Frömmigkeit und Demut, in Einfachheit
und Bescheidenheit, in Treue und Festigkeit, in heldenmütiger
Tapferkeit und arbeitsamem Pflichtgefühl, in Vaterlandsliebe und
nationalem Bewußtsein. Sein Schaffen und Ringen hat der Nach—
welt ein schönes Erbteil verschafft, ein einiges, mächtiges Deutsch—
land; aber schöner noch ist das Erbteil an Tugenden, das er uns
hinterlassen hat, ein Erbe, das die Nachwelt wird festhalten und
bewahren müssen. wenn sie anders auch das erste schützen und be—
hüten will.
Nach Edwin Evers