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zintretender Erwerbsunfähigkeit in den Genuß der Rente gelangen. Auch darf
nicht übersehen werden, daß den meisten Handwerksgesellen die Vorteile der
Belriebsunfallversicherungen nicht zu gute kommen. Diesen ersetzt die
Invaliditätsversicherung also gleichzeitig die Unfallversicherung. Endlich gestattet
das Geseh noch die freiwillige Weiterversicherung und die Selbstversicherung.
Geosellen, Arbeiter, Dienstboten u. s. w. können, wenn sie selbständig werden
und die Versicherungspflicht für sie aufhört, sich freiwillig weiterversichern,
wenn sie außer den vollen Beiträgen eine Zusaßmarke von 8 Pf. wöchentlich
in die Quittungskarte einkleben.
Die Selbstversicherung in der II. Lohnklasse ist solchen Handwerkern,
die der Versicherungspflicht nicht unterliegen, gestattet, falls sie das 40. Lebens⸗
jahr noch nicht überschritten haben und noch nicht dauernd erwerbsunfähig sind.
Sie haben alsdann ebenfalls den ganzen Beitrag — als Arbeitgeber und Arbeit⸗
nehmer — und außerdem eine wöchentliche Zusaßmarke von 8 Pf. zur Gewinnung
des Reichszuschusses zu leisten.
Die Ansprüche auf Bewilligung einer Invaliden- oder Altersrente sind
bei den Verwaltungsbehörden anzumelden, die für den Wohnort der Ver—
sicherten zuständig sind.
Verlorene, unbrauchbar gewordene oder zerstörte Quittungskarten sind durch
neue zu ersetzen.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, welche den Bestimmungen des Gesetzes
zuwider handeln, können mit Strafen bis zu 3000 A oder mit Gefängnis be—
legt werden.
Aus der vorstehenden, kurzen Inhaltsangabe des Invaliditäts- und Alters—
versicherungsgesetzes ergiebt sich, daß durch dasselbe dem Staat (der Gesellschaft),
den Abeitgebern und den Arbeitern selbst Pflichten auferlegt werden, während
die maleriellen Rechte den Gesellen, Lehrlingen, Arbeitern u. s. w.
allein zu gute kommen. Deutschland hat sich dadurch in einer Weise der
lohnarbeitenden Klassen angenommen, wie kein anderes Land der
BWolt Wenn die Renten auch nuür eine mäßige Höhe haben, so darf doch nicht
dergessen werden, daß dem tüchtigen Menschen auch ein kleiner Betrag, auf den
bin Recht hat, leber ist als das größte Almosen. Die Summe, die das
Deutsche Reich und die Arbeitgeber zur Zeit des Beharrungszustandes zu
Tunsten der Versicherten zu zahlen haben werden, ist auf ca. 200 Mil—
Abnen Mark berechnet. Diese Summe spricht für sich selbst. Es steht zu hoffen,
daß durch das einmütige Zusammenwirken von Kaiser, Regierung und Landes⸗
en für die Zukunft noch Größeres gelingen werde, als die Gegenwart er—
reicht hat.
Wo aber Rechte sind, da sind auch Pflichten. Die vornehmste Pflicht
jedes braven Deutschen aber ist es, treu zu unserem erhabenen Kaiser
Wilhelm IIL., dessen Herz für alle seine Unterthanen in treuer Liebe schlägt,
treu zu unserem herrlichen deutschen Vaterlande gegen äußere und
nnere Feinde zu stehen und für Kaiser und Reich — wenn es not thut — Gut
und Blut zu opfern.
A. Ernst.
Ernst und Tews, Lesebuch f. F. II.
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