Full text: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen im Königreich Preußen

260 Beschaffenheit der Dörfer beim Beginn des Dreißigjährigen Krieges. 
jetzt ist. Im Gegenteil war sein Selbstgefühl nicht geringer und 
oft besser berechtigt. Wohl war seine Unkenntnis fremder Verhält— 
nisse groß; denn es gab für ihn noch keine regelmäßigen Zeitungen, 
und er selbst war in der Regel nicht weiter gewandert als bis zur 
nächsten Stadt, wo er seine Erzeugnisse verkaufte, — etwa einmal 
über die Berge, wenn er Kühe trieb, oder als Thüringer nach Erfurt 
auf den Waidmarkt, als Franke vielleicht nach Bamberg mit seinem 
Hopfen. Auch war er in Tracht, in Sprache und Liedern nicht 
modisch wie die Städter. Er gebrauchte gern alte, derbe Worte, 
welche der Bürger für unflätig hielt; die Förmlichkeiten bei der 
Begrüßung waren andre als in den Städten, aber nicht weniger 
genau. Doch deshalb war sein Leben nicht arm an Gemüt, an 
Sitte, selbst nicht an Poesie. Noch hatte der verklingende deutsche 
Volksgesang einiges Leben, und der Landmann war der eifrigste 
Bewahrer desselben; noch waren die Feste des Bauern, sein Familien⸗— 
leben, seine Rechtsverhältnisse, seine Käufe und Verkäufe reich an 
alten, farbenreichen Bräuchen, an Sprüchen und ehrbarem Wesen. 
Auch die echte deutsche Freude an hübscher Handwerksarbeit, das 
Behagen an saubern und kunstvollen Erbstücken teilte der Land— 
mann damals mit dem Bürger. Sein Hausgerät war stattlicher 
als jetzt. Zierliche Spinnräder, welche noch für eine neue Erfindung 
galten, saüber ausgeschnittene Tische, geschnitzte Stühle und Wand— 
schränke haben sich einzeln — selten in Thüringen, öfter in Franken — 
bis auf unsere Zeit erhalten und werden jetzt von Kunstsammlern 
angekauft. Groß muß der Schatz der Bauernfrauen an Betten, 
Kleidern, Wäsche, an Ketten, Schaumünzen und anderem Schmuck 
gewesen sein, und nicht weniger begehrenswürdig waren die zahl— 
reichen Würste und Schinken im Rauchfange. Auch viel bares 
Geld lag versteckt in den Winkeln der Truhe oder sorglich in Töpfen 
oder Kesseln vergraben; denn das Aufsammeln der blanken Stücke 
war eine alte Bauernfreude, — es war seit Menschengedenken 
Friede gewesen, und der Ertrag der Acker brachte gutes Geld. Das 
Leben des Bauern war reichlich, ohne viele Bedürfnisse; er kaufte 
in der Stadt die Nesteln für seine Kleider, den silbernen Schmuck 
für Weib und Töchter, Würze für seinen sauren Wein und was 
von Metallwaren und Gerät in Hof und Küche nötig war. Die 
Kleider von Wolle und Leinwand webten, schnitten und nähten die 
Frauen im Hause oder der Nachbar im Dorfe. 
4. So lebte der Bauer in Mitteldeutschland noch zu Anfang 
des Dreißigjährigen Krieges; doch bald wurde ihm deutlich, daß 
eine schlechte Zeit auch gegen ihn heranziehe. Die Durchmärsche 
fremder Truppen begannen, und die großen Leiden des Krieges 
senkten sich auf ihn. Fremdes Kriegsvolk von abenteuerlichem 
Aussehen, durch Blut und Schlachten verwildert, marschierte in 
sein Dorf, mißhandelte ihn und die Seinen, verwüstete und plünderte, 
was ihm vor Augen kam. Gustav Freytag.
	        
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