Full text: Deutsches Lesebuch für städtische und gewerbliche Fortbildungsschulen

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so auch im Leben des Kaisers. Nach dem frohen Fest der Großjährigkeit 
des Kronprinzen folgte im Jahre 1901 ein herber Schmerz: am 5. August 
starb nach langen, mit himmlischer Geduld ertragenen Leiden auf Schloß 
Friedrichshof die Mutter unseres Kaisers, die edle Kaiserin Friedrich, 
eine Frau, die des Lebens höchste Freude und des Lebens tiefstes Leid 
in reichstem Maße erfahren hatte. Mit seltener Einmütigkeit trauerte das 
gesamte deutsche Volk mit dem Kaiser und seinem Hause an der Bahre 
der dahingeschiedenen Fürstin. 
Am 5. September 1904 verlobte sich Kronprinz Friedrich Wilhelm 
mit der durch Geist und Gemüt ausgezeichneten Prinzessin Cäcilie von 
Mecklenburg-Schwerin. Das verlobte hohe Paar erhielt aus allen 
Kreisen unseres Volkes die innigsten Glück- und Segenswünsche. 
„Wer den Frieden wahren will, muß sich zum Kriege vorbereiten!“ 
Unsere grollenden Nachbarn im Westen, die Franzosen, warten nur auf 
eine günstige Gelegenheit, das schöne Elsaß-Lothringen wiederzugewinnen 
und sich an Deutschland für die Niederlagen von 1870/71 zu rächen. Auch 
dem Nachbarn im Osten ist nicht recht zu trauen. Deshalb übt Kaiser 
Wilhelm unablässig Heer und Flotte, damit sie in der Stunde der Gefahr 
bereit und fähig sind, das teure Vaterland zu schützen. 
Ganz unerwartet fand sich im Jahre 1900 eine zwingende Veranlas— 
sung, das Schwert für Deutschlands Ehre zu ziehen. In China hatte eine 
politisch⸗religiöse Sekte, die sogenannten ,Boxer“, sich die Aufgabe gestellt, 
alle Christen und besonders die das Christentum predigenden fremden Mis— 
sionare zu töten. Nach Verübung entsetzlicher Grausamkeiten richteten sie 
im Bunde mit Regierungstruppen ihre Angriffe gegen die fremden Gesandt— 
schaften in Peking. Der deutsche Gesandte Freiherr von Ketteler 
wurde am 20. Juni 1900 hinterrücks ermordet. Da der schwache chinesische 
Katser nicht imstande war, den Aufstand zu bändigen und für das gröblich 
verletzte Volkerrecht Genugtuung zu gewähren, sahen sich die europäischen 
Großmächte — allen voran Deutschland — im Bunde mit den Vereinigten 
Staaten von Amerika und mit Japan gezwungen, Truppen nach China zu 
entsenden, um die vertragsbrüchigen Chinesen zu strafen. Kaiser Wilhelm II. 
der bald die Seele des China-Feldzuges wurde, entsandte schon am 2. Juli 
zwei Seebataillone, die durch Freiwillige auf Kriegsstärke ergänzt worden 
waren, unter dem Oberbefehl des Generalmajors v. Hoepfner auf den 
Kriegsschauplatz. Ebenso erfolgte eine wesentliche Verstärkung der deutschen 
Marine in den ostasiatischen Gewässern, so daß dort bald 22 deutsche 
Kriegsschiffe beisammen waren. Durch Kaiserlichen Erlaß vom 7. Juli er— 
folgte sodann die Bildung eines aus Freiwilligen zusammengesetzten deut⸗— 
schen Expeditionskorps von ungefähr 20000 Mann, das unter dem 
Oberbefehl des Generalleutnants v. Lessel ebenfalls nach China gesandt 
wurde. Bevor jedoch diese Verstärkungen dort eintrafen, hatten die ver⸗ 
bündeten Truppen nach blutigen Kämpfen bereits die Seefestung Taku, die 
Millionenstadt Tientsin und schließlich auch Peking erstürmt und die aufs 
äußerste bedrängten Gesandten befreit. Der chinesische Kaiser Kwangsü 
und die Kaiserin⸗-Regentin waren entflohen. Es galt also jetzt nur noch, die
	        
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