Full text: Zweites Lesebuch für die Oberstufe (Teil 6, [Schülerband])

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D. Bilder aus der Natur. 
landes, preisen vielleicht, im Wogenschwall des Meeres sich verlierend, noch 
den heimatlichen Wald, wo sie als kleine Bergquellen jene Kraft sammelten, 
mit der sie, groß geworden, durch die Lande rauschen: Segen bringend, 
Schiffe tragend und die Schönheit der Landschaft und das Leben des Volkes 
in ihren Fluten spiegelnd. 
2. Unsre Vorfahren wußten, was sie an ihren Wäldern hatten, unter 
deren Schatten sie wohnten. In heiligen Hainen empfanden sie die Nähe 
ihrer wohlthätigen Gottheit, die sie im Säuseln des Laubes und in dem 
Toben einer Sturmnacht vernahmen. Immer noch waltet dort die schir— 
mende, erhaltende Naturkraft in ihrem schöpferischen Segen am sichtbarsten. 
Als eine Schutzmauer des Landes steht der Bergwald, daß die zerstörende 
Wut der Stürme sich an ihm breche. Aber die trocknen, versengenden Winde 
durchtränkt er mit seinem feuchten Atem. Und in den vorübersausenden Luft— 
strom haucht er aus seinen frischen Gründen, aus seinen Millionen grüner 
Blätter und Nadeln heilsamen, stärkenden Lebensstoff, der draußen so manches 
unfruchtbare Gefilde erfrischt, die Dünste der Ebene verdrängt, luftreinigend 
und segenträufelnd über die Häusermasse der Stadt wogt und die bleichen 
Wangen ihrer Bewohner erquickend anweht. So wirkt der Bergwald noch 
in weite Ferne. Wehe aber dem Volke, das seine Wälder nicht ehrt! Wehe 
dem Lande, das sich seiner Forste beraubt! Der Fluch der Verödung ruht 
auf ihm. 
3. Noch grünen und rauschen in Deutschland die Forste, in der Ebene 
und auf den Höhen, — man hat gelernt, sie zu ehren und zu schützen. 
Stolz sieht das Vaterland auf seine herrlichen Bergwälder, die unsre reizen— 
den Mittelgebirge schmücken, — und selbst wo unser Auge sich nicht an ihrer 
Frische zu weiden vermag, singen wir noch begeistert: 
„Wer hat dich, du schöner Wald, 
aufgebaut so hoch da droben? 
Wohl den Meister will ich loben.“ 
Wohl gedenken wir dabei der erhabenen Ruhe, der feierlichen Stille 
auf der grünen Höhe, wo wir einmal zwischen Eichen und Tannen hoch am 
Felsenrande hinwanderten, wo weithin vor unsern trunkenen Augen das 
Waldgebirge sich breitete, Rücken an Rücken, Kuppe an Kuppe, ein grünes, 
wogendes Meer. 
4. „Tief die Welt verworren schallt, oben einsam Rehe grasen.“ Oben 
einsam Rehe grasen, — dort, wo der Sauerklee, die Kreuzblume oder der 
Waldmeister am duftigsten blühen, — auf der Bergwiese, die unter dem 
Strahle der Morgensonne am lieblichsten erglüht, und auf welche die Sterne 
am freundlichsten blicken, wenn die Vögel in den Zweigen schlummern und
	        
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