Full text: Lesebuch für Mädchenfortbildungsschulen

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mit ihrer gemütlichen Opposition gegen jegliche Arbeitsüberbürdung ton— 
angebend auf den Straßen, in der Mehrzahl der Münchner Wirtshäuser 
und in den Vergnügungsplätzen der Umgebung sind. Und die Großbürger 
mit ihrem Wohlstand und Kunstsinn betrachten sich nicht als ein höheres 
Patriziat,“) sondern als natürliche Vertreter des mittleren und kleinen 
Bürgertums, aus dem sie vor einem oder ein paar Menschenaltern hervor— 
gewachsen sind und dem gegenüber sie keine Überhebung zeigen dürfen, 
wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, als Protzen bezeichnet und lächerlich 
zu werden. Was der Münchner Bevölkerung ihr ganz besonderes Gepräge 
verleiht, ist die starke Beimischung künstlerischer Elemente. Die Masse 
derselben ist weit größer im Verhältnis zu der andern Bevölkerung als 
sonst irgendwo in der Welt, — vielleicht mit einziger Ausnahme von 
Paris. Von ihr gehen Züge auf alle anderen Gesellschaftsklassen über, 
vor allem eine gewisse Verachtung alles Spießbürgerlichen und Nüchternen. 
Natürlich ging der Fortschritt nicht in allen Kreisen der Bevölkerung 
mit gleicher Schnelligkeit vonstatten. Von den Sitten und Gewohnheiten 
des alten Münchens hat sich manches in das neue München herüber— 
gezogen, so vor allem ein Wirtshausleben, das vielleicht in keiner andern 
Stadt der Welt stärker ausgebildet ist als hier. Dieses Wirtshausleben 
hängt mit der unübertroffenen Güte des Münchner Bieres innig zusammen. 
Menschenalter hindurch hat man bis zum Überdruß den Münchnern den Vor— 
wurf gemacht, daß sie zu viel Bier trinken. Die Angehörigen aller deutschen 
Volksstämme und aller Kulturnationen indes trinken von dem Münchner 
Bier, wenn sie es haben können, ebensoviel und noch mehr als die 
Münchner selber. Wenn man von dem alten Münchner sagen konnte, daß 
das Bier eine zu große Rolle in seinem Dasein spielte, so gilt das heute 
mehr von rückständigen Klassen, wie es deren in allen Großstädten gibt. 
Nur diese sind es, die das Jahr in einem der großen Bierpaläste oder 
im Heiligtum des Hofbräuhauses beginnen, das Ende des Winters an der 
berühmten Salvatorquelle feiern, ihre Frühlingsfeste in täglicher Wieder— 
holung beim Bockfrühschoppen begehen, zur Sommerzeit ihre Abende in 
irgend einem der Kellergärten versitzen und im Herbste sich an den 
Wirtsbuden des Oktoberfestes vergnügen um dann im Winter wieder in 
ihre städtischen Stammkneipen zurückzukehren. Für alle fortgeschrittenen 
und geistig angeregten Kreise ist das Wirtshaus längst nicht mehr Selbst— 
zweck. Die stumpfsinnige Bierbank ist vielmehr einem höchst ausgebildeten 
Vereinsleben gewichen, das allerdings in Wirtshäusern seine Stätten hat, 
aber alle erdenklichen geistigen und künstlerischen, politischen und geschäft— 
lichen Interessen pflegt und das Bier nur nebenher trinkt, weil man ohne 
*) Im Mittelalter hießen die herrschenden Familien in den Reichsstädten 
Patrizier
	        
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