Full text: Lesebuch für das erste Kindesalter (Theil 2, [Schülerband])

103. Meister Hämmerlein. 
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alle Gäste lauschten auf ihr Gespräch. Es betraf das Handwerk, die Wan¬ 
derungen und Kundschaften desselben, und in allen erwachte der einmütige 
Wunsch, ihn zum Gemeindeschmied zu bekommen, weil allen der Zug von 
gemeinnütziger Denkart gefallen hatte. 
Hämmerlein mußte bleiben, und da er schon am folgenden Morgen einen 
Beweis von seiner Geschicklichkeit in der Vieharzneikunst und im Beschläge gab, 
so war nur eine Stimme für ihn: „Dieser und kein anderer soll Gemeinde¬ 
schmied werden." Man schloß den Vertrag mit ihm ab, und Meister Hämmer¬ 
lein war unvermutet Schmiedemeister eines großen Dorfes, das er wenige 
Stunden zuvor auch nicht einmal dem Namen nach gekannt hatte. Sage mir 
nun noch einer: „Wer ungebeten zur Arbeit geht, geht ungedankt davon." 
Zu seiner Besoldung gehörte unter anderem ein Grundstück, das er 
alljährlich mit Kartoffeln und anderen Gemüsepflanzen bestellte. Da er den 
Acker zum erstenmal in Augenschein nahm, bemerkte er auf dem Fahrweg 
verschiedene Löcher, in welche die Wagen bald rechts, bald links schlugen. — 
„Warum füllt ihr doch die Löcher nicht mit Steinen aus?" fragte Meister 
Hämmerlein die Nachbarn, welche ihm den Acker zeigten. — „ Je", sagten 
diese, „man kann immer vor anderen Arbeiten nicht dazu kommen." — Was 
tat aber Meister Hämmerlein? — So oft er von seinem Acker ging, las er 
von ferne schon Steine zusammen und schleppte deren oft beide Arme voll bis 
zu den Löchern. Die Bauern lachten, daß er, der selbst kein Gespann hielt, 
für andere den Weg besserte; aber ohne sich stören zu lassen, fuhr Meister 
Hämmerlein fort, jedesmal wenigstens ein paar Steine auf dem Hin- und 
Herwege in die Löcher'zu werfen, und in etlichen Jahren waren sie ausge¬ 
füllt. — „Seht ihr's?" sagte er nun. „Hätte jeder von euch, der leer die 
Straße fuhr, auf dem Wege die Steine zusammengelesen, auf den Wagen 
geladen und in die Löcher geworfen, so wäre der Weg mit leichter Mühe 
in einem Vierteljährchen eben geworden." 
Oft machte er ganz absichtlich gemeinnützige Spaziergänge. Er suchte 
nämlich junge Bäumchen, die auf Gemeindeplätzen von selbst wuchsen oder 
dahin gepflanzt waren, und beschnitt sie. Kam die Zeit, so okulierte und 
pfropfte er die Wildlinge, und oft lief eine ganze Gesellschaft junger Leute 
mit ihm, die unter seiner Anleitung das Pfropfen und Okulieren erlernte. 
Bald war auf keinem Gemeinderasen ein junges Obstbäumchen mehr zu finden, 
das nicht aufgeschnitten, gerade gezogen und veredelt gewesen wäre. Fand er 
im Walde einen hübschen Wildling, so verpflanzte er ihn aus einen schicklichen 
Gemeindeplatz, und nach Verlaus von 15 bis 18 Jahren zog die Gemeinde- 
kasse einen beträchtlichen Vorteil davon. Johann Ferdinand Schlez. (Gekürzt.)
	        
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