Metadata: Charakterbilder für den biblischen Geschichtsunterricht

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und somit neue Menschen zu werden. Auch das wäre dem Nikodemus 
verständlich gewesen, wenn Jesus die Wiedergeburt bloß auf die Reue 
und Buße, auf Ablegung der alten Sünden, auf die Reinigung des 
Gewissens bezogen hätte, wie sie in der Wassertaufe (bei den Essäern 
und bei Johannes) einen symbolischen Ausdruck fand. Aber eine 
völlig neue Geburt, ein Absterben des natürlichen Menschen mit seiner 
Sinnlichkeit und Selbstsucht, begabt mit einem ganz neuen Lebens¬ 
princip — das wollte dem Nikodemus nicht in den Sinn. Ihm schien 
der alttestamentliche Standpunkt des Gesetzes, der auf strengen Gehor¬ 
sam gegen die Gebote dringende Tugendeifer zu wohl begründet, ihm 
war das ganze geistige Leben des Menschen so sehr ein zusammen¬ 
hängendes Ganze, daß er eine Erneuerung innerhalb dieses Alten, von 
seinem natürlichen Zusammenhang Getragenen, eine Umgestaltung, 
welche vernichtend gegen das Alte, Bekannte, Liebgewordene sich richtete, 
gar nicht faffen konnte. Es kam ihm das wie ein Wunder vor, ähnlich 
dem, daß ein alter Mensch zum zweitenmal wieder jung werden 
sollte. Daher die Frage des Zweiflers: Ist die Forderung einer zweiten 
Geburt des innern Menschen nicht ebenso widersinnig, als die Zu¬ 
mutung, daß der leibliche Mensch zum zweitenmal aus feiner Mutter 
Schoß geboren werden sollte? Nun tönt dem Nikodemus das zweite 
»Wahrlich« des Königs im Reiche der Wahrheit, der da zeugte von 
dem, was er gefchauet und erfahren hatte, entgegen, um ihn hinzu¬ 
führen auf den Kardinalpunkt christlichen Lebens, auf den specifischen 
Unterschied des Alten und des Neuen Testaments, einer Weissertaufe, 
welche vom alten Menschen wohl den Sündenfchmutz hintvegnimmt, 
aber eben diesen Menschen doch nicht mit neuen Lebenskräften zu be¬ 
seelen imstande ist, und einer Feuertaufe, welche das Alte verzehrt, 
um einer ganz neuen Schöpfung Raunt zu geben. »Es fei denn, 
baß jemand geboren werde aus dem Wasser und Geist, 
so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.« Die Taufe 
Johannis als Symbol der Reinigung des innern Menschen ward von 
Christo nicht verworfen, sondern adoptiert; den Pharisäern in ihrem 
Tugendstolze erschien sie als etwas Überflüssiges. Aber Jesus verlangte 
nicht nur dieses Verlassen des alten Sündenlebens, ihm war Reue und 
Buße noch keineswegs genügend zur Wiedergeburt, sondern er verlangte 
eine Wiedergeburt aus dem Wasser und Geist, ein durch Reue und 
Buße hindurchgedrungenes Glaubensleben, das in der Gemeinschaft 
mit dem Gottmenfchen, in lebendiger Teilnahme an der durch den Messias
	        
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