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Kinder waren recht artig gewesen; deshalb wollte die Mutter
ihnen eine Freude machen. Sie sagte zu ihnen: „Kinderchen,
heute will ich mit euch in den Wald spazieren gehen." „Ja, ja,"
sagte Willi sröhlich, „in den Wald, wo die schönen großen Bäume
stehen, und wo die Vögel so allerliebst singen!" Das kleine
Gretchen aber fragte: „Mutter, sind auch keine Wölfe im Walde
und auch keine Zigeuner?" Da lachte die Mutter und sagte:
„O nein, gewiß nicht; ich würde dich, mein kleines Lämmchen, ja
nicht zu den Wölfen führen, und die kleinen Kinder werden von
den Zigeunern nur dann mitgenommen, wenn sie allein in den
Wald hineingehen."
Mutter und Kinder gingen also durch schöne, grüne Wiesen
und über eine Brücke, unter welcher Helles, klares Wasser hinfloß,
in den Wald hinein. ' O, wie schön war es da im Walde! Da
standen die Bäume, so hoch, daß die Kinder kaum an ihnen hinauf¬
sehen konnten. Auch waren Bäume da, gerade so groß und so
grün, wie der Christbaum, der im Winter aus dem Weihnachts¬
tische gestanden hatte, und so ganz, ganz kleine Bäumchen auch!
Willi brauchte nur einen großen Schritt zu machen, so konnte er
über sie hinwegschreiten, und Gretchen sagte: „O Mütterchen,
sieh', das wären so hübsche Christbäume für meine Puppe!" Die
Kinder waren so sröhlich und singen an zu singen: „O Tannen¬
baum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter," und die
Vögel, welche aus den Sträuchern und Bäumen saßen, sangen,
pfiffen und zwitscherten auch mit, daß es eine Luft war. Willi
und Gretchen freuten sich sehr, wenn sie eins von den Vögelchen
sitzen oder stiegen sahen. Die Mutter setzte sich auf einen Stein,
und die Kinder liefen ans dem grünen Moose, das wie ein weicher
Teppich unter den Bäumen ausgebreitet war, hin und her und
lasen Tannenzapfen auf, die sollten ihre Schäfchen fein. „Mutter,
liebe Mutter," rief Willi, „sieh nur hier, diese Menge niedlicher,
weißer Blümchen! Ich bitte dich, liebe Mutter, mache davon
einen Kranz für Gretchens Hut, ich will sie alle pflücken." —
„Nein, nein, mein Kind," sagte die Mutter, „das wollen wir nicht