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Türmen und goldenen Zinnen. Da konnte man trotz der Entfernung
sehen, wie es mit einem Mal im Walde wimmelte von Hofleuten und
Dienern und Rittern zu Roß und zu Fuß, und die Luft erscholl von
Pauken- und Trompetenschall.
So waren nun alle Tiere im Walde wieder zu Menschen verwandelt,
aber auch die, welche oben beim Einsiedler gehaust, nicht minder. Denn
statt des Eichkätzchens saß ein flinker Page aus dem Baume, statt der Lach¬
tauben ein paar lustige Kammerfräulein auf dem Dache und statt der Sing¬
vögel allerlei Musikanten in den Büschen, die strichen auf ihren Geigen,
bliesen auf ihren Flöten und sangen dazu hübsche Lieder.
So ward der Königssohn und die junge Königin Mann und Frau,
und der Einsiedler segnete ihren Bund. Darauf kam aus dem Walde ein
reicher Zug von Rossen und Dienern, die beiden abzuholen in ihr Schloß.
Als diese die Rosse bestiegen hatten, wollten sie auch den Greis mit sich
nehmen, damit er ihr erster Minister würde und stets um sie bleibe. Der
aber verweigerte es und sprach: „Laßt mich hier in meiner Einsamkeit,
ich passe nicht mehr für die Menschen. Mir strahlt auch die Sonne präch¬
tiger als euer Gold und der Mond lieblicher als euer Silber. Die Sterne
sind meine Edelsteine, und der weite Himmel ist mein Königszelt. Ihr.
möget mich zuweilen in meiner Zelle besuchen und mir erzählen, daß es
euch wohl geht. Auch bitte ich noch, sorgt dafür, daß ich wieder so lustige
Gesellschaft um mich sehe als früher."
Und so geschah es auch. Mit herzlichem Dank für seinen Schutz zog
die Königin und ihr Gemahl mit dem ganzen Hofgesinde von dannen.
Bald fanden sich auch wieder freundliche Tiere bei dem Einsiedler ein,
und waren sie auch nicht so wunderbar wie die früheren, so pflegte er sie
doch mit Liebe und Lust bis an sein seliges Ende. Auch zu den Menschen
faßte er wiederum Liebe und Vertrauen, und als er starb, ließ der junge
König ihn in ein marmornes Grab legen, aber die Königin pflanzte schöne
Blumen ringsumher und benetzte sie mit ihren Tränen. Robert Reinick.
46. Der Hahn und der Fuchs.
In einer kalten Winternacht kroch ein hungriger Fuchs aus seinem
Bau und ging dem Fange nach. Da hörte er auf einem Meierhofe einen
Hahn fort und fort krähen, der saß auf einem Kirschbaume und hatte schon
die ganze Nacht gekräht. Jetzt strich der Fuchs hin nach dem Baum und
fragte: „Herr Hahn, was singst du so zur Nacht?" Der Hahn sprach:
„Ich verkündige den Tag, dessen Kommen meine Natur mich kennen lehrt."
Darauf versetzte der Fuchs: „O Hahn, fürwahr, du hast etwas Göttliches
in dir, so du kommende Dinge weißt!" und alsbald begann der Fuchs zu
tanzen. Jetzt fragte der Hahn: „Herr Fuchs, warum tanzest du?" Ihm
antwortete der Fuchs: „So du singest, o du weiser Meister, so ist es billig,