Die „Chri¬
stenheit."
Gleichge¬
wicht der
Macht.
Die 3 Perio¬
den der
neuen Zeit.
184 Neue Geschichte.
Feudalherrschaft zur Monarchie auf verschiedene Art: in einigen Ländern,
wie in England und Spanien, wußte der Fürst die Gewalt seiner Va¬
sallen in der Weise zu brechen, daß die einzelnen ihre Selbstständigkeit
verloren und nur in ihver Gesammtheit noch eine bedeutende Macht im
Staate blieben, in andern, wie in Frankreich, vereinigte der König auf
mehr friedliche Weise die Herrschaft seiner Vasallen mit seiner eigenen;
in noch anderen, wie in Deutschland und Italien, gelang es den Vasallen,
sich vom Lehusverhältniß frei zu machen und dadurch selbstständige Mo¬
narchen zu werden.
Und endlich zeigt sich auch in der Stellung der Staaten zu einander
ein auffallender Unterschied. Im Mittelalter standen die Staaten der
christlich germanischen Welt fast vereinzelt neben einander. Keiner beküm¬
merte sich sehr um das Leben und Treiben seiner Nachbarn; nur der Papst
hatte in den Ländern seine Legaten und vermittelte, was etwa zu ver¬
mitteln war. Als aber zur Zeit der Reformation die Gewalt des Papstes
über ganze Länder und Völker zu Grunde ging und der Verkehr unter
den Völkern viel reger wurde, so konnte die Kirche diese Verbindung nicht
mehr besorgen. Ebensowenig war daö dahinsinkende Kaiserthum im Stande,
eine schiedsrichterliche Gewalt unter den christlchen Völkern Europas aus¬
zuüben. Dafür kommt der Gedanke zur Herrschaft, daß die christlichen
Völker Europa'ö, wenn auch national selbstständig, den Türken gegen¬
über eine Ganzheit, die Christenheit, ausmachen. Und aus diesem
Gedanken der Christenheit erwächst allmälig der Begriff, daß alle
Staaten Europas eine rechtliche Gesellschaft, ein Staatösystem bilden.
Weil aber die Staaten an Umfang und Macht sehr verschieden und Frank¬
reich und Oesterreich damals am mächtigsten waren, so glaubte man
das Gleichgewicht der Macht und die nationale Selbstständigkeit der
Volker am leichtesten dadurch zu wahren, daß die kleinern Staaten sich
bald auf Frankreichs, bald auf Oesterreichs Seite schlügen, je nachdem
eine von diesen Großmächten dem Ganzen Gefahr drohen, zur Universal¬
monarchie werden könnte. Infolge dieser Dinge nehmen dann die stehen¬
den, anfangs aus Miethstruppen zusammengesetzten Heere ungemein zu
und werden zu einer drückenden Last der Völker, besonders als Ludwig XIV.
das französische Heer, welches unter Heinrich IV. nur 16000 Mann be¬
tragen hatte, auf 150,000 Mann brachte. Hieran knüpften sich sehr
wichtige Folgen; denn um die Kosten aufzubringen, welche die Unterhal¬
tung dieser Heere verursachte, mußte man neue Quellen des National-
wohlstaudes eröffnen, und darauf bedacht sein, die Tragung der öffent¬
lichen Lasten auf alle Klassen der Gesellschaft auszudehnen und den Grund¬
satz allgemeiner Militärpflicht anzubahnen.
Bei der neuen Zeit lassen sich drei Perioden unterscheiden. Die
erste Periode reicht von der Reformation bis zum westfälischen Frieden
(1517—1648): in ihr macht die Religion den Mittelpunkt aller politischen
Bewegungen aus. Die zweite Periode reicht vom westfälischen Frieden bis
zur französischen Revolution (1648—1789); in ihr treten statt der Reli¬
gion wieder die rcinweltlichen Interessen in den Vordergrund:, Frankreich
erhält auf kurze Zeit unter Ludwig XIV. ein ganz Europa bedrohendes
Uebergewicht, England wird die erste Seemacht der Welt, Schwedens
Vormacht im Norden weicht der steigenden Uebermacht Rußlands und