Full text: Lesebuch für landwirtschaftliche Winterschulen und ländliche Fortbildungsschulen

9 — 
Da hielt er ein und schaute von seiner Arbeit auf 
Und sah mich an und blickte zur Linde hoch hinauf; 
Dann legt' er beide Hände still auf sein Arbeitszeug, 
Lehnt' an den Baum und sagte: „Nachbar, ich danke Euch! 
Die Linde pflanzt' mein Vater, als ich geboren war, 
Sie grünt und blüht alljährlich schon über 70 Jahr. 
Mein Weib, am Hochzeitstage — sie war ein junges Blut, 
Steckt' mir von diesem Baume ein Zweiglein an den Hut. 
Viel' Gäste tät ich laden, zu enge ward das Haus, 
Hier unter dieser Linde, da hielten wir den Schmaus. 
Ein Sohn ward uns geboren, da gab sich 's viel zu freu'n, 
Und seinen Namen grub ich in diese Linde ein. 
Die Linde wuchs und prangte, der Knabe ward ein Mann; 
Bei Leipzig in der Ebene stand er im Heeresbann. 
Zum Kampfe ziehend, trug er zwei Lindenzweig' am Hut; 
Bei Leipzig an den Wällen verrann sein junges Blut. 
Nun hängt in unserer Kirche die Tafel an der Wand, 
Da steht: „Franz Helm, gestorben für König und Vaterland.“ 
Mein Weib und ich, wir weinten viel um den guten Franz, 
Wir wanden um die Tafel frisch einen Lindenkranz. 
Seht, unsere besten Tage, die waren nun dahin; 
Der Franz lag meiner Alten zu sehr in Herz und Sinn; 
Sie konnt' sich nicht mehr freuen, ich konnt' es auch nicht mehr, 
Gott hat sie heut' erlöset von Jammer und Beschwer. 
Seht, Nachbar, nun beginn' ich die Linde umzuhau'n; 
Ich will für meine Alte draus einen Sarg erbau'n. 
Ich hab' den Baum gemessen, wohl hält er Holz zu zwei'n; 
Bald zimmer' ich auch den andern, und Ihr legt mich hinein“ 
F. J. Honcamp. 
b) Dorf und Flur. 
7. Die heimat. 
Gar schön und bedeutungsvoll ist das Wort „Heimat“. Das weiß 
der am besten, der unter fremden Menschen wohnt mit fremder Sprache 
und Sitte. Da denkt er oft und gern zurück an die heimatlichen Fluren, 
an die Spielplätze seiner Kindheit, an das unvergeßliche, teure Vaterhaus 
mit seiner traulichen Umgebung, und wäre es selbst die ärmlichste Hütte. 
In seinen Gedanken besucht er die Berge und Täler, die er als Kind 
durchstreift hat, wo er Erd- und Heidelbeeren fand; er durcheilt die 
sonnigen Fluren und Auen, wo er mit den Spielgenossen Blumen pflückte, 
die er zu Sträußen und Kränzen wand, oder deren Stengel er zu lieb— 
lichen Ketten schlang. Das ehrwürdige Gotteshaus mit seinem stillen 
Frieden, die zum Ernst des Lebens mahnende Schule, die ihn so freund— 
sich aufgenommen, und alle die Gegenstände und Orte, an welche sich 
besondere Erinnerungen aus den glücklichen Tagen der Kindheit knüpfen, 
flehen mit unauslöschlichen Zügen vor seiner Seele. Selbst in seinen Vor—
	        
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