Full text: Lesebuch für landwirtschaftliche Winter- und Fortbildungsschulen

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dern. Daher kann der Reisende, weleher die Wüste durehziehen 
will, nieht eigener Kraft vertrauen, sondern er ist gezwungen, sich 
ciner Gesellscuaft anzuschlieben. In groben Secharen sammeln sieh 
an einzelnen Ausgangspunkten, am Saum der MWüũste, dieé Karawa- 
nen und ziehen von Nord nach Süd, von West nach Ost stets die- 
gelben dureh die Natur vorgeschriebenen Banhnen. Denn im Sand- 
meere bilden die Oasen die unveränderlichen Hafenplätze, denen 
der Reigende auf dem Kamele entgegensteuert. Jede bedeutendere 
Grenzetadt der Wüste hat ihre Karawanserei; diese ist zugleich die 
Herberge, die Warenniederlage und der Sammelplatz für die an- 
kommenden und abgehenden Karawanen. Die Vorsteher der Maul- 
her und Kameltreiber setzen hier den abgang der Züge nach Be— 
durfnis fest. Ist der Tag des Aufbruchs gekommen, so stellen 
gieh die erfabrensten Kameltreiber an die Spitze; sie haben schon 
oft die Reise gemacht und Kennen jede Oase, jeden Brunnen genau. 
Unter dem Geleite von bewaffneten Arabern, Mauren oder Tuariks, 
dureh deren Land die Karawane zieht, betreten die Reisenden die 
Müste. 
Die Länge einer Tagereise richtet sieh nach den Lagerplätzen. 
Gewöhnlich beträgt sie vier oder fünt Meilen, sie dehnt sieh aber 
in wasserarmen oder dureh Räuber unsicher gemachten Gegenden 
aueh auf acht Meilen aus. Zuweilen bei grober Hitze wird am 
Tage gerastet und in der Nacht die Reise fortgesetzt; gewöhbnlieh 
aber bricht die Karawane mit der Morgendämmerung auf und rastet 
des Nachmittags, am liebsten an einem Brunnen. Geschaftig be— 
reiten die Reisenden dann ihr Mahl beim Feuer, das mit getrock- 
netem Kamelmiste unterhalten wird; sie verrichten ihre Gebete und 
bedienen sieh bei den vorgeschriebenen Waschungen des Sandes 
gtatt des Wassers. Und wenn über die lautlose Stille der Wüste 
die Nacht sich lagert und die Sterne hell dureh die ewig Klare und 
troekne Liuft herabfunkeln, dann sammeln sich die gläubigen Jünger 
des Propheten und lauschen den Worten des Maärchenerzäblers. 
Aueh stimmen sie abwechselnd Gesänge an. Bald aber legt sieh 
jeder zum Sehlummer in seinem Zelte nieder, und in der Toten- 
Stille ringsum vernimmt das gescharfte Ohr das Wiederkäuen der 
Kamele und das Sehnarchen der Schlafenden in entfernten Zelten. 
80o verfliebt ein Tag wie der andere, bis einige Raben in dem 
Sandmeere der Wüste die Nähe der Quelle verkünden und am Hori- 
zonte die Wipfel der königlichen Palmen auftauchen. Dann eilt 
alles mit raschem Schritte dem Wasser zu, und Menschen und Tiere 
löschen ihren Durst in langen Zügen, als ob sie nimmer aufhören 
wollten. Am Brunnen wird einigeée Tage gerastet; in gröbßeren 
Oasen verweilt man wochenlang und handelt und tauseht mit seinen 
Waren. Nicht selten aber bringen räuberische Araberstämme dureh 
ihre Uberfälle Verwirrung und Wehklagen in die Reihen der Pilger. 
Gröber noeh sind die Schrecken der Natur, wenn die Orkane 
der Wüste, der feueratmende Samum oder der giftige Ohamsin
	        
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