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45. Die Leipziger Messe.
irgend zu entbehren ist, und gar mancher Wohnungsinhaber erhält auf
diese Weise 6 bis 800 Mark Mietgeld; dafür begnügen sich die Hauseigen⸗
tümer aber auch, wenn es sein muß, in der Waschküche, im Holzstalle ꝛc.
zu schlafen.
Auf allen freien Plätzen sieht man nun Buden aufgebaut; es ent—
steht in der Stadt gleichsam eine zweite Stadt, und die mit Firmen aller
Art behangenen Wände der Häuser gewähren einen seltsamen Eindruck
und zeigen nun ein festliches Aussehen. — Waren aller Art sieht man
aufg. apelt, und besonders bedeutungsvoll ist die Ledermesse, der
Tuch- und Pelzwarenhandel. Amerika, Rußland, der Norden
Europas schicken Hunderttausende von Häuten auf die Leipziger
Messen. Im Jahre 1876 betrug die Gesamtzufuhr an rohen Häuten
22000 Ztr., an Leder 26 000 Ztr. — Ein einziges riesiges Tuchwaren—
lager schon zählt selten weniger als 100 000 Stück zu einem Gesamt—
wert von 6—9 Millionen Mark, meist Erzeugnisse Deutschlands und
der Nie derlande, und in diesem Fabrikationszweig des vaterländischen
Gewerbfleißes nimmt Sachsen den ersten Rang ein. Da kaufen der
Orient, die Länder des Mittelmeeres, das ferne China, Ostindien, Süd—
amerika und Mexiko, Nordamerika, das südliche, östliche und westliche
Europa ihren Bedarf an Tuchen der verschiedensten Gattungen, und nur
der Norden Europas versorgt sich gegenwärtig von Hamburg aus mit
diesem Artikel.
In Betreff des Pelzwarenhandels ist Leipzig der erste Platz
der Welt geworden. Deutschland liefert Pelzfelle vom Fuchse, Edel—
und Steinmarder, Iltis, Otter, Dachse und Hasen; dann Kaninchen-,
Katzen- und Lammfelle; Rußland sendet die Felle der Hermeline,
Zobel, der weißen und blauen Füchse, Hasenfelle, persische, astrachanische
und russische Lammfelle; auch Grönland, Schweden und Noun—
wegen bieten ihre Vorräte; ebenso die Staaten von Nordamerika,
diese namentlich Pelze des Bibers, des Bisam, der roten, schwarzen
weißen und blauen Füchse, der Bären, Seeottern, Luchse, Wölfe,
Zobel u. s. w.
Mittlerweile sind die Meßbesucher immer zahlreicher eingetroffen;
auf Schritt und Tritt begegnen wir nunmehr fremden Gesichtern. Leicht
erkennbar ist besonders der gewandte Berliner, der Hamburger Groß—
händler, der heitere Rheinländer, der gemütliche Süddeutsche, der be—
wegliche Franzose, der gemessene Sohn Englands, der pfiffige Nankee,
der russische Händler und vor allem der polnische Jude in langem Talar
und spitzigem Bart. Die Zahl der anwesendem Fremden an jedem Tag
darf man immer auf 30 bis 50000 rechnen.