19. Zeus und das Schaf.
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und da du mich doch einmal bestimmt hast, deinen Liebling, den Menschen
zu tragen, so könnte mir ja wohl der Sattel anerschaffen sein, den mir der
wohlthätige Reiter auflegt.“
„Gul“, versetzte Zeus; „gedulde dich einen Augenblick!“ Zeus, mit
ernstem Gesichte, sprach das Wort der Schöpfung. Da quoll Leben in den
Staub; da verband sich organisierter Stoff, und plötzlich stand vor dem
Throne — das häßliche Kamel.
Das Pferd sah, schauderte und zitterte vor entsetzendem Abscheu.
„Hier sind höhere und schmächtigere Beine“, sprach Zeus; „hier ist ein
langer Schwanenhals; hier ist eine breitere Brust; hier ist der anerschaffene
Saltel! Willst du, Pferd, daß ich dich so umbilden soll?“
Das Pferd zitterte noch.
„Geh“, fuhr Zeus fort; „diesesmal sei belehrt, ohne bestraft zu werden.
Dich deiner Vermessenheit aber dann und wann reuend zu erinnern, so daure
du fort, neues Geschöpf!“ — Zeus warf einen erhaltenden Blick auf das
Kamel — — „und das Pferd erblicke dich nie, ohne zu schaudern.“
(Gotthold Ephraim Lessing, geb. 1729 zu Kamenz CLausitz), pals Bibliothekar von Wolfenbüttel
zu Braunschweig 15. Februar 1781.)
19. Zeus und das S5chaf.
GFabel)
Das Schaf mußte von allen Tieren vieles leiden. Da trat es vor den
Zeus und bat, sein Elend zu mindern.
Zeus schien willig und sprach zu dem Schafe: „Ich sehe wohl, mein
frommes Geschöpf, ich habe dich allzu wehrlos erschaffen. Nun wähle, wie
ich diesen Fehler am besten abhelfen soll. Soll ich deinen Mund mit schreck—
lichen Zähnen und deine Füße mit Krallen rüsten?“
„O nein“, sagte das Schaf, „ich will nichts mit den reißenden Tieren
gemein haben.“
„Oder“, fuhr Zeus fort, „soll ich Gift in deinen Speichel legen?“
„Ach!“ versetzte das Schaf, „die giftigen Schlangen werden ja so sehr
gehaßt.“
„Nun, was soll ich denn? Ich will Hörner auf deine Stirn pflanzen
und Stärke deinem Nacken geben.“
„Auch nicht, gütiger Vater; ich könnte leicht so stößig werden als der
Bock.“
„Und gleichwohl“, sprach Zeus, „mußt du selbst schaden können, wenn
sich andere dir zu schaden hüten sollen.“
„Müßt' ich das!“ seufzte das Schaf. „O, so laß mich, gütiger Vater,
wie ich bin. Denn das Vermögen, schaden zu können, erweckt, fürchte ich,
die Lust, schaden zu wollen, und es ist besser, Unrecht leiden als Unrecht
thun.“
Zeus segnete das fromme Schaf, und es vergaß von Stund an, zu
klagen.
G. E. Lessing.)