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Der Beruf der Frau im Hause.
dann seinen edlen Gesichtszügen einen so bekümmerten Ausdruck zu geben,
daß es mir immer durch die Seele ging. Namentlich einmal, als er wegen
Zahnweh mit verbundenem Kopfe erschien, rührte mich jener Ausdruck bis zu
Tränen. Der arme Vater! Er hatte Schmerzen und mußte obendrein an
seinem Sohne solche Schmach erleben. Ich konnte keinen Bissen essen, obgleich
es Dampfnudeln nach echtem bayrischen Rezept gab; aber meine Mutter ließ
die Ohren sitzen. Qügelgen, „Jugenderinnerungen“.
25. Aus kranken Tagen.
D weiche Hand, in trüben Tagen
hast du so freundlich mich gepflegt,
liebreich gesorgt für mein Behagen
und mir den Pfühl zurechtgelegt.
Du fleiß'ge Hand, die nur zum Dienen
von früh bis abend froh bereit,
in dir ist mir das Bild erschienen
der echten deutschen Weiblichkeit.
Julius Sturm.
26. Ein schwerer Entschluß.
Als Jürgen zwei Jahre alt war, geschah es, daß der Würgengel der
Kinder, die Diphtheritis, durch die Heide zog. Fast jeden Tag läutete in Wiechel
die Kinderglocke, und ohne Gesang — der Landrat hatte wegen der Ansteckungs⸗
gefahr die Begleitung durch die Singjungens verboten — wurde eine kleine
Leiche nach der anderen in den Gottesacker gebettet. Ein Bauer in der Nach—
barschaft von Lohe verlor in fünf Tagen seine drei blühenden Kinder. Auch
über dem Häuslersjungen in dem abgetragenen Kattunröckchen, der zusammen
mit Jürgen aus der Taufe gehoben war, wölbte sich schon ein kleiner Hügel.
Vater Lohmann hatte all seine Lebtage nicht an Ansteckung geglaubt.
Dennoch freute er sich in diesen Tagen, daß sein Hof einsam in der Heide
lag. Und wenn ein Fremder im Hause zu tun hatte, hielt er ihn von dem
Kleinen ängstlich fern.
Endlich schien die Seuche ihren Höhepunkt erhrnn zu haben. Der
bleierne Druck, der seit Wochen auf allen Eltern- und Großelternherzen ge—
lastet hatte, begann zu weichen. Da nahm Großvater Lohmann eines Abends
seinen Jungen auf die Knie und spielte mit ihm. Er nahm seine rechte Hand,
faßte die kleinen Finger, vom Daumen beginnend, der Reihe nach an und
sagte dazu: „Lusknicker, Puttenlicker, Langmeier, Goldfinger, Lüttfinger.“
Er wollte diesen Scherz wiederholen, aber der Junge zog die Hand zurück
und sagte: „Nee.“
Da nahm der Großvater sein rechtes Beinchen, klopfte mit der flachen
Hand unter die Sohle und sang dazu:
„Putt putt putt putt Perd beslahn,
morgen schall't na Hamborg gahn.“
Aber Jürgen strampelte mit den Beinen und wehrte mit den Händen ab.
Da legte der Alte ihn der Länge nach über seine Knie, fuhr ihm mit der
Hand kitzelnd an den Hals und sang:
„Farken steken, Würstken maken,
dat schall sekken quiek quiek quiek.“