Eine kleine Mietwohnung. 
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kräftigen warmen Strahl in die große Schlafstube, daß die Betten ohne Mühe 
gesonnt werden. Dieses Zimmer ist das einzige, das zwei Fenster hat. Nach 
dem Grundriß ist es eigentlich zur guten Stube bestimmt. Dorthin wollte 
die junge Frau das Büffet und die Plüschmöbel stellen, wie es Meiers im 
ersten Stock haben. Hat jemand solch Büffet vielleicht schon gesehen? Auf 
der Platte steht ein Kaffeeservice und ein Brotteller mit der Inschrift, die 
allen Brottellern und Brotkapseln eigen ist: Unser täglich Brot gib uns heute. 
Im unteren Schrankfach des Möbelstücks liegen schöne Decken — lauter Hoch— 
zeitsgeschenke, viel zu schade natürlich, daß man sie benützt. Und oben drin 
liegt Wäsche: Gardinen, Stores, Bettzeug, Handtücher. 
Gegen die Plüschmöbel hatte der Mann, ebenso wie gegen das Büffet, ent— 
schieden Front gemacht. Wir müssen, hatte er gesagt, jedes Quadratmeter Wohnung 
teuer bezahlen. Nun sollen wir Geld für diese Quadratmeter bezahlen, die uns 
durch Möbel verloren gehen, für die wir doch auch erst noch wieder bezahlen müssen? 
Oder brauchen wir sie, damit du deine Sonntagsbluse über die eine kampher⸗ 
parfümierte Sessellehne legst und ich meinen Rock über die andere hänge? 
So hatte es kleine Auseinandersetzungen gegeben. Der Mann hat seinen 
Willen durchgesetzt: die Engelsköpfe der Stuckkehle an der Decke guüͤcken nun 
mit demselben Gleichmut auf die Betten, mit dem sie sonst wohl auf die kalte 
Pracht herabgeschaut hätten. Die Stores, die Meiers unten im ersten Stock 
haben, sind hier überflüssig. Die Gardinen, die dort der Plüschmöbel wegen 
immer zugezogen sind, sind hier weit zurückgeschoben. So weit es geht, öffnen 
sich die Fenster und lassen Sonne und Luft herein. 
Eine große Flügeltür führte nach dem einfenstrigen Nebenzimmer. Mein 
Gott! hatte Frau Meier entsetzt gerufen, als sie sah, daß man sie ausgehängt 
hatte. Ein schlichter, einfach gemusterter Leinenvorhang ist an ihre Stelle 
getreten. Er ist ein Stück zurückgezogen, und man sieht einen Kleiderschrank, 
breit, groß, behäbig, so recht für die ganze Familie. Ein Stuhl steht daneben. 
Auch ein Regal ist da, unter dessen freundlichem Vorhang sich allerlei kleiner 
Plunder des täglichen Hausbedarfs verbirgt: Flickwäsche, Stopfkorb, Wäsche— 
leine, Klammersack und was weiß ich alles. Am Fenster aber ist ein freund— 
liches Nähplätzchen, ein Tischchen, eine Nähmaschine, wohl auch ein Plätzchen 
für den Ältesten, wenn er in Ruhe seine Schularbeiten erledigen will. 
Nun ist noch vorn ein Zimmerchen. Es ist nicht eben groß. Wenn die 
Eltern mit den drei Kindern darinnen sind, ist es gerade voll genug. Es 
hat nur ein Fenster, aber gerade das macht es so behaglich, so warm. Und 
es ist in der Tat auch warm: darunter wird geheizt, und die Wand nach 
Nachbars Wohnstube hin ist auch nicht kalt. 
Dies Zimmer wird im Winter von Mittag an geheizt, das kostet am 
kältesten Tag noch nicht für 20 Pfennige Brikelts, dafür aber bleibt abends 
der Mann zu Hause. Dann schlafen die Kinder, und je lauter der Wind im 
Ofen pfeift, um so schöner ist es. Kommt nun einmal der Vetter oder die 
Frau Nachbarin, dann werden sie hierher geführt. Ei, wie gemütlich! sagt 
jeder, der hereintritt. Er wird nicht in die ungeheizte Stube geschickt, wo 
man ihm einen Stuhl hinschiebt, um schnell⸗geschaftig mit den üblichen Ent— 
schuldigungen die Kragen uͤnd Röcke hinwegzuräumen, nein, er nimmt im 
warmen Zimmer Platz auf dem behäbigen alten Kanapee, vor dem der Familien— 
tisch steht. Sonst gibt's kein umfangreiches Möbel in diesem Raum. Aber 
was ist denn nur eigentlich so gemütlich an allem? Die Möbel? Sie sind 
einfach, von dunkelgebeiztem Kiefernholz. Die Frau wollte ja gern „echte“ 
haben, der Mann aber hatte gesagt: Die sind ja echt!
	        
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