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Abriß der Poetik.
§■ 13. Von den Strophen.
Aus Versen werden Strophen zusammen¬
gesetzt. Eine nach bestimmten Gesetzen abge¬
schlossene Zusammensetzung von Versen ist
eine Strophe. In den neueren Sprachen
ist es außer der Anzahl und Verschiedenheit
der Verse noch besonders der Reim, welcher
im Strophenbau Gesetz und Abrundung bil¬
det. Eine hohe Schönheit kann im Bau der
Strophen liegen; aber eben so sehr ist er oft
der Willkürlichkeit oder einer bedeutungslosen ■
Aeußerlichkeit preisgegeben. Grundgesetz für
den Bau einer Strophe ist, daß ihre einzel¬
nen Theile sich zu einem gegliederten Gan-
-zen an- und abschließen, so daß sie wirklich
einem kleinen Bau zu vergleichen ist. Bei
ben Deutschen war die Strophenbildung am
reichsten und vollkommensten unter den Minne¬
sängern; gewöhnlich bestand die Strophe aus
drei Theilen, aus zwei gleichen, welche man
die Stollen nannte, und dann aus dem
Schlußtheile, welchen man den Ab ge sang
nannte (S. 88). Und so manchfaltig und
charakteristisch war die Strophenbildung mit
der zugehörigen Sangesweise, daß nicht leicht
für ein neues Lied eine bereits bekannte
Strophensorm gebraucht wurde. Die Meister¬
sänger verkünstelten und entgeistigten den
Strophenbau; dann kam er allmählich ganz in
Vergessenheit, und ist bis jetzt noch nicht wie¬
der zu bedeutungsvollen Grundgesetzen gelangt,
so viel Schönes auch die wenigen wahrhaft
großen Dichtergeister gebildet haben. Zur
näheren Würdigung und Erkenntniß des
Strophenbaues vergleiche man die verschie¬
denen Strophen unter den Gedichten, nament¬
lich auch die Mittelhochdeutschen. Wir können
hier nur einige besonders namhafte Strophen
aufzählen:
A. Antike Strophen.
1. Das Distichon; besteht aus einem
Hexameter mit einem darauf folgenden Pen¬
tameter. Es bildet den Uebcrgang aus dem
epischen Hexamrtee in den lyrischen Wechsel;
es war besonders das Versmaß für Elegieen
und Epigramme. Beispiele S. 335 ff.,
402 ff. u. a. m. — Vgl. S. 409: „Das
Distichon".
2. Die Sapphische Strophe; besteht
aus drei Sapphischen Versen und Einem
Adonischen. Siehe Seite 480: „Loos des
Lyrikers". Durch ein Verkennen der Cäsur
im Sapphischen Verse scheint man darauf ge¬
kommen zu sein, die Strophe so zu bauen,
daß man den Daktylus auch an die zweite
Stelle setzte (S. 422: „An Thomann") oder
mit der Stellung des Daktylus in den drei
Versen wechselte (S. 248: „Der Frohsinn").
Auch trochäisch hat man die Strophe gebildet
(S. 166: „Die Tugend") und selbst jambisch
(S. 281: „Vertrauen"). Platen hat die alte
Form, und dabei besonders den Spondeus
als zweiten Fuß, nicht aber die Cäsur im
dritten Fuße festgehalten; es ist auch in Wahr¬
heit diese Cäsur, namentlich die männliche,
fürs Deutsche nicht angemessen.
3. Die Asklepiadeische Strophe; a.
der Asklepiadeische Vers in fortlaufender Wie¬
derholung (xscric ari'/ov) zu je vier Versen;
4>. ein Glykonischer Vers im Wechsel mit
einem Asklepiadeischen; c. drei Asklepiadeische
Verse mit einem Glykonischen; ä. zwei As¬
klepiadeische Verse mit einem Pherekratischen
und einem Glykonischen. (S. 291: „Das
Landleben.")
4. Die Alcäische Strophe; sie besteht
aus zwei Alcäischen Versen, einem vierfüßig
jambischen mit weiblichem Schluß, und einem
logaödischen Verse, zwei Daktylen, zwei Tro¬
chäen;
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Es ist eine der schönsten Strophen; durch die
Cäsur wird der steigende Rhythmus in den.
fallenden übergeleitet und dann in den beiden
Schlußversen dieses Verhältniß von Steigen
und Fallen noch einmal getrennt dargestellt.
Die bezeichneten Längen statt der Kürzen er¬
höhen die Kraft und Schönheit. Beispiele:
mehrere bei Klopstock; dann S. 289, 293,
294, 425 u. a. Alle diese antiken Strophen
bleiben übrigens im Deutschen nur erkünstelte
und unzureichende Nachbildungen; ein Goethe
>und ein Schiller haben sich (mit Ausnahme
der Distichen) fast gar nicht damit abgegeben.
§. 14. Neuere Strophen.
B. Neuere Strophen. Man bildet
die Strophen zu zwei, drei, vier u. s. w.
bis zu dreizehn und noch mehr Zeilen; am
gewöhnlichsten jedoch zu vier, sechs und acht
Zeilen. Die Reimstellung und der Wechsel
von männlichem und weiblichen! Reim dient
zur Manchfaltigkeit und zur Einheit; in letz¬
terer Hinsicht läßt z. B. die Reimstellung
! ababcdcd als achtzeilige Strophe eine Zer¬
legung in zwei gleiche vierzeilige zu, und ent¬
behrt somit der strengen Einheit, was bei
ababccdd nicht der Fall ist. Dieser Grund¬
satz der einheitlichen Verbindung ist in der
neueren Zeit zu wenig beachtet worden. Die
eigentlich namhaften Strophenformen die
wir besitzen, sind aus alter Zeit, oder von