Full text: Preußisch-deutsche Geschichte vom Ende des Großen Krieges bis zum Beginne des Zwanzigsten Jahrhunderts (H. 3)

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führt den Oberbefehl über die Land- und Seekriegsmacht und vertritt das 
Reich nach außen durch die von ihm ernannten Botschafter und Gesandten. 
Er schließt Bündnisse und Verträge mit fremden Staaten und entscheidet 
unter Zustimmung des Bundesrats über Krieg und Frieden. Er ernennt 
und entläßt die Reichsbeamlen und (ausgenommen in Bayern, Sachsen und 
Württemberg) die höheren Offiziere. Er beruft, eröffnet, vertagt und schließt 
den Reichstag, je nachdem es nötig ist, Er bestätigt und verkündet die 
Reichsgesetze. Alle Erlasse und Verfügungen von ihm müssen vom Reichs¬ 
kanzler mitunterzeichnet sein, der somit alle Verantwortung dafür übernimmt. 
Denn der Kaiser ist nicht verantwortlich. Er ist auch unverletzlich. Beschimpft 
ihn jemand, so wird dieser als Majestätsbeleidiger, vergeht sich jemand an 
ihm, so wird dieser als Majestätsverbrecher bestraft. 
Der Kaiser wohnt in der deutschen Reichshauptstadt Berlin. Dort, 
im Reichstagsgebäude, versammeln sich auch Bundesrat und Reichstag, um 
gemeinsam mit den Ministern des Kaisers zu beraten und zu beschließen. 
Der Bundesrat besteht aus 58 Abgeordneten oder Vertretern der 
deutschen Staaten (außer Elsaß-Lothringen), die von den Regierungen er¬ 
nannt werden. Nach der Größe der Staaten wird die Zahl der Stimmen 
bemessen. Der Bundesrat legt dem Reichstage die Gesetzentwürfe vor und 
entscheidet über Annahme oder Ablehnung der Reichstagsbeschlüsse. Er ordnet 
ferner an, wie die neuen Gesetze auszuführen sind. Er entscheidet über 
die Auflösung des Reichstags und in Verfassungsstreitigkeiten. Endlich 
beschließt er über die Kriegserklärung, wenn diese vom Reiche aus er¬ 
folgen soll. 
Der Reichstag besteht aus 397 Abgeordneten, die vom gesamten 
deutschen Volke auf fünf Jahre gewählt werden. Zu dem Zwecke ist das 
Reich in 397 Kreise eingeteilt. Ein jeder 25 Jahre alte Deutsche, der 
nicht unter Vormundschaft steht, nicht im Konkurs ist, keine Armenunter¬ 
stützung empfängt und die Bürgerrechte nicht verloren hat, darf wählen und 
kann gewählt werden. 
Der Reichstag berät die vom Bundesrate vorgelegten Gesetzesentwürfe, 
nimmt sie ohne weiteres an, ändert sie oder lehnt sie ganz ab. Er kann 
aber auch selbst Anträge und Gesetzesentwürfe einbringen. Der Bundesrat 
muß diese dann beraten; sie gehen hierauf wieder zurück und werden im 
Reichstag abermals beraten. Alle Beratungen finden dreimal in sogenannten 
Lesungen statt. Anträge und Gesetzesentwürfe, die sehr wichtig sind, werden 
meist von Ausschüssen (Kommissionen) vorberaten. Auch Bittschriften (Peti¬ 
tionen) aus dem Volke kann der Reichstag annehmen und sie beim Bundes¬ 
rate befürworten. Der Reichstag muß außerdem seine Zustimmung zu den 
jährlichen Ausgaben des Reiches, zur Einführung oder Erhöhung von Steuern 
und Zöllen und zu den Verträgen mit anderen Staaten geben. 
Der Kaiser bestätigt die von Bundesrat und Reichstag beschlossenen 
Gesetze, versieht sie mit seiner Unterschrift und läßt sie durch den Reichs¬ 
anzeiger verkünden. Der Kaiser kann in Übereinstimmung mit dem 
Bundesrat den Reichstag auflösen, wenn dieser einem von ihm für not¬ 
wendig erachteten Gesetze seine Zustimmung versagt. Alsdann wird ein 
neuer Reichstag gewählt.
	        
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