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113. Woher der Sperling sein Kleid hat.
Theodor Krausbauer.
Daß der Sperling sonntags wie werktags ein gar unscheinbares
Röckchen trãgt, das weib jedermann; aber nicht jeder weib, wie
er dazu gekommen ist.
Als der liebe Gott die Vögel erschaffen hatte, zog er auch
jedem sein Kleid an und gab ihm die Farbe, die es haben sollte.
Gerade hatte er den Edelfinken ausstaffiert und war nun daran,
dessen ganze Verwandtschaft einzukleiden, und auch den Sperling,
denn der ist des Edelfinken leibhaftiger Vetter — und hatte ihm
schon auf jeden Flügel einen reinweißben Flecken mit Farbe ge-
zeichnet, und dem Weibehen auch, — da sah der Sperling nebenan
auf dem Kirschbaum ein paar saftige, reife Kirschen, die blickten
gar zu verlockend durech das Grün der Blätter.
Nun war er seiner Lust nicht mehr Meister.
Gar heimlich verließ er den Platz, den ihm der liebe Gott
angewiesen hatte, und stahl sich unbemerkt davon. Sein Weibchen
flog mit. Als er sich aber nun in hastiger Gier auf den Bissen
stürzte, weil er ihn seinem Weibchen nicht gönnte, rissen die
Kirschen vom Stiele los und fielen mitten in eine Pfütze auf dem
Erdboden. Das Sperlingsweibchen hatte die Gelegenheit wahr—
genommen, flog blitzschnell hinter den fallenden Kirschen drein und
erhasehte die eine.
Nun suchte das Männchen sie ihm zu entreißen, und beide
zerrten und zausten sich unter hellem, lautem Gezeter und Geschrei
im lehmigen Tümpel umher, daß ihre Federn über und über mit
Lehm bedeckt wurden. Nur die Stelle blieb an jedem Flügel vom
Schmutz unberührt, wo der liebe Gott den weiben Flecken auf—-
getragen hatte: an der Olfarbe haftete nämlich das Wasser nicht,
jeder Tropfen rann von ihr nieder.
Alles blickte auf und zu den Zankenden hin. Der liebe Gott
aber rief sie zu sich heran:
„Ihr habt euer Kleid selbst gefärbt,“ sagte er, „und so soll
es bleiben für alle Zeit!“
Daher trägt heute noch der Sperling sein lehmfarbenes Kleid.
Aber auf jedem Flügel ist eine weiße Binde, dort, wo ihm der
liebe Gott die Federn schlohweiß gefärbt hatte.