Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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wurden etwas dunkler und größer, aber nicht viel. Und dieß war gut, ein 
Zeichen, daß der feurige Pfeil seines Widersachers und Verächters zwar sein 
Herz getroffen, aber ihn sonst unberührt gelaßen hatte. Mit einer bewun- 
dernswerthen, nur den wahren Nachfolgern des Herrn eigentümlichen Ruhe 
erwiderte er seinem Beleidiger: .Gnädiger Herr, versuchts halt mit mir. 
Unser Herr Gott hat schon schwächeren Leuten, als ich bin, über die Tauern 
hinüber geholfen.' 
.Sein Weib,' fügte der Wirt hinzu, .ist schon lange krank und seine 
fünf Kinder haben nichts zu eßen.' 
Dieser Grund beschwichtigte auch den Zorn und die ausgetretene Galle 
meines Reisegefährten. — Lebensrnittel auf drei Tage wurden sorgfältig in 
den Tragkorb des Führers gepackt, und dann brachen wir auf. Der Freund 
gieng immer weit voran. Denn er wollte auf diesem Wege keine Menschen, 
am wenigsten den Schneider plaudern, sondern nur die großen Werke Gottes 
reden hören, die Waßerfälle, den Morgenwind in den Stcinklüften, die rollen¬ 
den Steine in der Gastein und die wandelnden Vögel. 
Ich für meinen Teil plauderte lieber mit einem christlichen, verständigen 
und vielerfahrenen Manne, als welchen sich der Führer immer mehr und 
mehr zu erkennen gab. Er fieng nun an, eine Kammer seines Herzens nach 
der andern auszuschließen, als er vernommen hatte, daß auch ich zu Hause 
Weib und Kinder hätte, welche mir mitunter viele Sorge und nicht wenig 
Arbeit machten. Er eröffnete unter andern Dingen, daß er einer von den 
wandernden Schneidern sei, und daß er eigentlich Johannes Erzbcrgcr heiße, 
aber an der Gastein nur unter dem Namen Schnakenhans bekannt wäre, 
denn er sei schon als Knabe sehr mager und langbeinig, und unter seinen 
3ugendgenoßen gewesen wie eine Schnake unter den breiten und runden Mist¬ 
käfern, mit Respekt zu vermelden. 
Auf dem sogenannten Naßfclde, wo die schroffen Felswände an der 
Gastein rechts und links aufhören, eine enge Gaße zu bilden, und auf dem 
ein dicker, in Staubregen sich auflösender Nebel lag, wartete der Reisegefährte 
an einer Sennhütte, welche er für diejenige hielt, in der, nach einem von 
dem Wirte am Morgen erteilten Rathe, Mittag gehalten und dann erst der 
Giebel der Tauern überstiegen werden sollte. 
In dieser Sennhütte, welche dem Wirte in Gastein selbst gehörte, aber 
schon vor etlichen Wochen mit dem Vieh verlaßen worden war, schürten wir 
von dem noch vorräthigen Holz ein Feuer an, und setzten uns um den Herd. 
Der Führer würzte die Schnitten von einer Kalbskeule, indem er so manche 
von den Erfahrungen mitteilte, die er als wandernder Schneider in reichen 
und armen, christlichen und unchristlichcn Familien gemacht hatte. Er war 
uns nun angenehmer und willkommener, als der erste Gemsjäger in den
	        
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