Full text: [Teil 2 = (4. und 5. Schuljahr), [Schülerband]] (Teil 2 = (4. und 5. Schuljahr), [Schülerband])

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ist auf deiner Welt!“ Und als ich weiterging, bekam ich einen Guten Tag 
über den andern von den munteren Tierchen. 
Da fragte ich so ein junges Vögelchen, das wacker mitgeschrien hatte, 
von wem's denn in aller Welt einen so köstlichen Gesang gelernt habe, 
daß dem Wanderer vor Freude das herz hüpfe? 
„Ei, von der Mutter!“ wurde Antwort gezwitschert. 
Die Mutter, die auf dem nächsten Zweige saß und meine Frage ge— 
hört hatte, sagte freundlich: „Und ich hab's von meiner Mutter, aber 
das ist schon lange her.“ „Und deine Mutter?“ „Von der Großmutter; 
aber das ist ja schon eine Ewigkeit.“ Und weiter hinauf wußten sie's 
gar nicht mehr. 
Da war aber ein anderer Vogel, der schon vor Alter mit dem Kopfe 
wackelte und über die Maßen klug und gelehrt aussah; der nahm das 
Wort und bedeutete mich: „Als die Welt geschaffen war,“ sagte er lang— 
sam und ein wenig schnarrend, „sangen alle unsere Vorfahren noch recht 
so, wie ihnen der Schnabel gewachsen war, alles durcheinander, ohne 
Melodie und harmonie, ohne Takt, krächzend, schnurrend, pfeifend, kurzum: 
ohne Sinn und Verstand. Sie freuten sich ganz außerordentlich über die 
schöne Welt, die sie sahen, flogen auf und ab, von Zweig zu Zweig, und 
schrien aus voller Kehle, was sie nur konnten. Der liebe herrgott nun, 
der einem jeden so gern eine Freude macht, der hatte ihnen auch eine 
beschert. Mit einemmal, da klingt von dem Kasen eine süße, himmlische 
Musik zu ihnen herauf, daß sie alle, eins um das andere, ganz entzückt 
die Beine hoben; und als sie hinuntersahen, was sahen sie da? — Da 
saßen drei wunderliebliche Engelsgestalten, die musizierten so schmelzend 
und herrlich, wie es seitdem nie wieder ein Ohr vernommen hat. „Nun 
gebt acht!“ sprachen die drei Engel zu den Vögeln, „jetzt wollen wir 
euch singen lehren.“ 
Da setzten sich nun viele von den Vögeln ringsum auf die nächsten 
Zweige oder noch näher auf den blumigen Kasen, horchten zu, was jene 
ihnen vorspielten, und versuchten, es dann mit hilfe ihrer freundlichen 
Lehrmeister nachzusingen. 
Das taten die einen. Aber gar manche leichtsinnigen, flatterhaften 
Bürschchen, denen die kleinste Mühe zu schwer wurde, schlugen die Gottes— 
gabe in den Wind, hatten nur wenig acht darauf, flogen weg, wenn's 
ihnen zu lange dauerte; ja freilich, wenn das nur so im Schlaf ihnen 
gekommen wäre! Andere hatten auch wohl von Natur wenig Gabe zum 
Singen, und noch andere, denen der liebe Gott ein schönes äußere ge— 
geben hatte, waren in ihrem hochmut darauf so töricht, daß sie meinten, 
auch von den Engeln selbst gar nichts mehr lernen zu können. 
Nun ja, die alle haben, wie ganz natürlich, nur wenig oder gar nichts 
behalten und krächzen darum heutzutage noch, wie du's am Pfau hören 
kannst, daß es ein Spott und eine Schande ist. Viele andern jedoch, die 
zwar ein unscheinbares äußere, aber ein frommes, bescheidenes Gemüt und
	        
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