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mit einem frisch abgerissenen Zapfen im Schnabel herstreicht und sich, auf
die elastischen Schwanzfedern gestützt, an meinem Baume festhakt. Da er—
blickt er mich, läßt die Beute fallen und fliegt schleunig wieder ab. Wäre
er nicht gestört worden, so hätte er den Zapfen entweder in eine Rinden—
spalte oder in eine Astgabel festgeklemmt oder auf einen Ast aufgelegt
und mit hilfe eines solchen Amboßes mit dem meißelförmigen, kräftigen
Schnabel den duftigen Samen herausgearbeitet.
Ich hatte zufällig eine Spechtschmiede gefunden, die man auch wohl
hobelbank nennt.
Es ist ein anziehender Anblick, und man möchte gerne dem Specht
eine Handvoll Kiefersamen gönnen; aber sein Gebaren muß den Freund
des Waldes doch schmerzen. Nicht nur, daß eine ganze Masse Samen ver—
loren geht: der gefiederte Näscher bricht auch noch die bestausgebildeten
Zapfen ab. Viele armen Leute verdienen sich ihren Unterhalt, indem sie
die Zapfen auflesen und die Samen verkaufen; ihnen schnappt der bunte
Räuber das Brot vor dem Munde weg. Nach Wilhelm Wurm.
255. Ein Wintergast des deutschen Waldes.
Der Dezember hat den weiten Wald in Zauberbande geschlagen. Tief—
hängende Schneewolken verhüllen die ohnedies bleiche Sonne, und die
schneebeschwerten äste schließen ein wenig durchsichtiges Gewölbe und
dämpfen jeden Laut. Nur der unermüdliche Jäger durchstreift unhörbaren
Schrittes die Wildnis; aber trotz aller Vertrautheit mit Weg und Steg
im Revier muß ihn zuweilen der Kompaß oder die rückwärts angenommene
eigene Fährte wieder hinausleiten auf gebahnte Wege und zu den Wohn—
stätten der Menschen.
Indessen bleibt trotz allen äußeren Ungemachs des Weidmanns Seele
stark und vergnügt. Er zählt ja wie die Sonnenuhr stets nur die heiteren
Stunden. Der Schnee verrät ihm die Spuren des scheuen Wildes, und er
freut sich des beweglichen Lebens der kleinen Tierwelt, die ihrer Nahrung
nachgeht. Da locken gesellige Meisen und winzige Goldhähnchen und werfen
sich von Baum zu Baum, alle Rindenspalten nach Eiern und Larven von
Insekten absuchend; einsiedlerische Kleiber oder säbelschnäblige Baumläufer
rutschen zu gleichem Zwecke Stamm auf, Stamm ab, und häufig ertönt
das hämmern der Spechte.
Drunten am Bachufer hat ihn der Wasseramsel Wintergesang entzückt;
und nun vernimmt er auch hier oben im tiefen Wald ein anmutiges Vogel—
lied, den Ausfluß von Liebesglück und Elternfreuden.
Der Sänger kann nur der Kreuzschnabel sein. Er weilt und brütet,
wo der Nadelholzsamen reichlich gedeiht, und deshalb zigeunert er von
Sibirien bis zum Mittelmeer umher und nistet und singt zu fast allen
Jahreszeiten, selbst im Dezember und Jänner. hoch oben im dichtesten